Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
großen Ofen, der ihn heizt, und dem ersten Gitter die Zeremonie der Toilette vor. Noch jetzt schreitet man nicht ohne Zittern über diese Fliesen, die die Erschütterung und das Geständnis so vieler letzter Blicke aufgefangen haben.
Um seinen scheußlichen Wagen zu verlassen, bedurfte der Sterbende der Hilfe zweier Gendarmen, die ihn unter je einem Arm packten, ihn stützten und wie ohnmächtig in die Kanzlei trugen. Der Sterbende hob, als er so dahingeschleppt wurde, die Blicke in einer Weise zum Himmel, daß er dem vom Kreuze genommenen Heiland glich. Sicherlich zeigt Jesus auf keinem Gemälde ein leichenhafteres, entstellteres Gesicht, als dieser falsche Spanier es tat; er schien bereit, den Atem aufzugeben. Als er in der Kanzlei saß, wiederholte er mit versagender Stimme die Worte, die er seit seiner Verhaftung an jeden richtete: »Ich berufe mich auf Seine Exzellenz den spanischen Gesandten ...« »Das«, erwiderte der Direktor, »können Sie dem Herrn Untersuchungsrichter sagen ...« »Ah, Jesus!« rief Jakob Collin stöhnend. »Kann ich nicht ein Brevier bekommen? ... Wird man mir immer noch einen Arzt verweigern? ... Ich habe keine zwei Stunden mehr zu leben.«
Da Carlos Herrera in strengen Einzelgewahrsam gebracht werden sollte, so war es unnötig, ihn zu fragen, ob er auf die Wohltat der Pistole Anspruch machte, das heißt auf das Recht, eins jener Zimmer zu bewohnen, in denen man den einzigen Luxus genießt, den die Justiz erlaubt. Diese Zimmer liegen am Ende des Gefängnishofes, von dem später die Rede sein wird. Der Gerichtsdiener und der Kanzlist erfüllten gemeinsam und phlegmatisch die Formalitäten der Aufnahme.
»Herr Direktor,« sagte Jakob Collin in geradebrechtem Französisch, »ich liege im Sterben, Sie sehen es. Sagen Sie diesem Herrn Richter, wenn Sie es können, sagen Sie es vor allem so bald wie möglich, daß ich als eine Gunst erflehe, was ein Verbrecher am meisten fürchten müßte, nämlich vor ihm erscheinen zu dürfen, sowie er eintrifft; denn meine Leiden sind wirklich unerträglich; und sowie ich ihn sehe, muß jeder Irrtum sich aufklären ...«
Es ist eine allgemeine Regel, daß alle Verbrecher von Irrtum reden. Man gehe ins Bagno und befrage die Verurteilten, sie sind fast stets das Opfer eines Justizirrtums. Daher entlockt denn auch dieses Wort allen, die mit Untersuchungsgefangenen, Angeklagten und Verurteilten in Berührung kommen, ein unmerkliches Lächeln.
»Ich kann mit dem Untersuchungsrichter über Ihr Begehren sprechen,« erwiderte der Direktor. »Ich werde Sie segnen! ...« erwiderte der falsche Spanier, indem er die Augen gen Himmel hob.
Sowie Carlos Herrera aufgenommen war, ergriff ihn an jedem Arm ein Munizipalgardist; ein Aufseher, dem der Direktor die Einzelzelle bezeichnete, in der der Untersuchungsgefangene unterzubringen war, begleitete sie, und so wurde er durch das unterirdische Labyrinth der Conciergerie in eine, was gewisse Philanthropen auch sagen mögen, sehr trockene Zelle geführt, die jedoch keine Möglichkeit eines Verkehrs offen ließ.
Als er verschwunden war, sahen sich der Direktor des Gefängnisses, sein Kanzlist, der Gerichtsdiener und die Gendarmen an, als wollten sie einander nach ihrer Meinung fragen; und auf allen Gesichtern malte sich der Zweifel; aber beim Anblick des zweiten Untersuchungsgefangenen verfielen die Zuschauer von neuem in ihre gewohnte Ungewißheit, die unter einer gleichgültigen Miene verborgen wird. Wenn nicht außerordentliche Umstände vorliegen, so sind die Beamten der Conciergerie wenig neugierig, denn die Verbrecher sind für sie das, was für die Friseure die Kunden sind. Daher gehen denn auch all die Förmlichkeiten, vor denen die Einbildungskraft sich entsetzt, einfacher vonstatten als bei einem Bankier die Geldgeschäfte, und oft wird die Höflichkeit besser gewahrt. Lucien zeigte die Maske des niedergeschlagenen Schuldigen, denn er ließ alles mit sich geschehen, er hielt mechanisch still. Seit Fontainebleau dachte der Dichter über seinen Zusammenbruch nach, und er sagte sich, daß die Stunde der Sühne geschlagen hatte. Er war blaß und abgezehrt und hatte keine Ahnung von dem, was seit seiner Abreise bei Esther vorgefallen war; er wußte, daß er der vertraute Gefährte eines ausgebrochenen Sträflings war: und diese Lage genügte, ihm Katastrophen vorzuspiegeln, die schlimmer waren als der Tod. Wenn sein Gedanke sich mit einem Plan trug, so war es der des Selbstmordes. Er wollte um jeden Preis der
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