Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
der Welt länger halten können als Cogniard, weil sie ihre Mittel aus der Prostitution besagter Esther bezogen, die ehemals unter Polizeiaufsicht stand.« –
Trotz der Wiederholungen, die diese Notizen in den Bericht über das Drama bringen, war es nötig, sie wörtlich anzuführen, um klarzumachen, welche Rolle die Polizei in Paris spielt. Die Polizei hat, wie man es übrigens schon aus der über Peyrade eingeforderten Notiz ersehen konnte, fast stets zuverlässige Akten über alle Familien und Einzelwesen, deren Leben verdächtig und deren Handlungsweise tadelnswert ist. Sie ist stets genau über alle Abweichungen vom geraden Wege unterrichtet. Dieses allgemeine Notizbuch, diese Bilanz der Gewissen wird ebenso sorgfältig geführt, wie die Bank von Frankreich ihre Bilanz über die Vermögensstände führt. Genau wie die Bank jede kleine Zahlungsverzögerung notiert, wie sie jeden Kredit abwägt, jeden Kapitalisten einschätzt und seine Transaktionen mit ihrem Blick verfolgt, so macht es die Polizei mit der Ehrlichkeit der Bürger. Dabei hat wie im Palast die Unschuld nichts zu befürchten; jene Wirksamkeit erstreckt sich nur auf die Fehltritte. Wie hoch eine Familie auch gestellt sein mag, so könnte sie sich doch nicht gegen diese soziale Vorsehung sichern. Dabei ist ihre Diskretion ebenso groß wie ihre Macht und ihre Ausdehnung. Die ungeheure Menge von Protokollen der Polizeikommissare, von Berichten, Notizen, Akten, dieser Ozean von Auskünften schläft regungslos, tief und ruhig wie das Meer. Wenn ein Krankheitssymptom ausbricht, wenn sich ein Vergehen oder ein Verbrechen erhebt, so wendet sich die Rechtsprechung an die Polizei; und gibt es Akten über die Beschuldigten, so nimmt der Richter alsbald Kenntnis von ihnen. Diese Akten, in denen das Vorleben analysiert wird, sind nur Auskünfte, die innerhalb der Mauern des Palastes ersterben; die Rechtsprechung kann von ihnen keinen gesetzmäßigen Gebrauch machen; sie läßt sich aufklären und bedient sich ihrer, weiter nichts. Diese Blätter zeigen gewissermaßen die Rückseite der Stickerei des Verbrechens, seine ersten und fast immer unbekannten Ursachen. Keine Jury würde daran glauben, das ganze Land würde sich in Empörung erheben, wenn man sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Schwurgericht darauf berufen wollte. Kurz, sie enthalten die Wahrheit, die wie immer und überall in ihrem Brunnen zu bleiben verurteilt ist. Es gibt in Paris keinen Richter, der nicht nach zwölfjähriger Praxis wüßte, daß das Schwurgericht und Zuchtpolizeigericht die Hälfte all jener Gemeinheiten verbergen, die gleichsam das Bett sind, auf dem das Verbrechen seit langem gebrütet hat; keinen Richter, der nicht zugestände, daß die Rechtsprechung nur die Hälfte der begangenen Attentate bestraft. Wenn das Publikum wissen könnte, wie weit die Verschwiegenheit der Polizeibeamten, die doch immerhin ein Gedächtnis haben, geht, es würde diese wackern Leute ebensosehr verehren wie die Cheverus. Man hält die Polizei für verschlagen, für machiavellistisch: sie ist von höchster Güte; nur lauscht sie auf die Leidenschaften in ihren Paroxismen, sie nimmt Denunziationen entgegen und hebt alle ihre Notizen auf. Furchtbar ist sie nur auf der einen Seite. Was sie für die Justiz tut, das tut sie auch für die Politik. Aber in der Politik ist sie ebenso grausam, ebenso parteiisch wie die ehemalige Inquisition.
»Lassen wir das,« sagte der Richter, indem er die Notizen wieder in das Aktenheft legte, »das ist ein Geheimnis zwischen der Polizei und der Rechtsprechung; der Richter wird schon sehen, wieviel das wert ist; aber Herr und Frau Camusot haben davon niemals etwas erfahren.« »Mußt du mir das erst noch wiederholen?« fragte Frau Camusot. »Lucien ist schuldig,« fuhr der Richter fort, »aber wessen?« »Ein Mann, der von der Herzogin von Maufrigneuse, von der Gräfin von Sérizy, von Klotilde von Grandlieu geliebt wird, ist nicht schuldig,« erwiderte Amelie; »der andere muß alles getan haben.« »Aber Lucien ist mitschuldig!« rief Camusot. »Willst du mir glauben?« sagte Amelie. »Gib den Priester der Diplomatie zurück, deren schönste Zierde er ist; mache diesen kleinen Elenden unschuldig und suche andere Schuldige ...« »Wie du vorgehst! ...« erwiderte der Richter lächelnd. »Die Frauen laufen quer durch die Gesetze ans Ziel, wie die Vögel, die in der Luft nichts aufhält.« »Aber,« fuhr Amelie fort, »sei er nun Diplomat oder Sträfling, der Abbé
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