Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Sträflinge) »vorhanden sind.« »Und weshalb?« »Betrüg-den-Tod ist mit der Sparkasse durchgebrannt, und ich weiß, daß sie geschworen haben, ihn zu vertilgen.« ›Sie‹ waren die Sträflinge, deren Schatz Betrüg-den-Tod seit zwanzig Jahren anvertraut worden war, wie man weiß, hatte Lucien ihn verzehrt. »Könnten Sie noch Zeugen seiner letzten Verhaftung ausfindig machen?« »Geben Sie mir zwei Zeugenladungen, und ich bringe sie Ihnen noch heute.« »Coquart,« sagte der Richter, während er sich die Handschuhe auszog und Stock und Hut in einen Winkel trug, »füllen Sie nach den Angaben des Herrn Agenten zwei Ladungen aus.«
Er blickte in den Spiegel des Kamins, auf dessen Sims statt der Uhr eine Waschschüssel und eine Wasserkanne standen. Ferner auf der einen Seite eine Flasche voll Wasser mit einem Glas, auf der andern eine Lampe. Der Richter schellte. Nach einigen Minuten kam der Gerichtsdiener.
»Habe ich schon Leute da?« fragte er den Gerichtsdiener, der die Zeugen in Empfang zu nehmen, ihre Vorladungen zu prüfen und die Reihenfolge ihres Eintreffens festzustellen hatte. »Ja, Herr Camusot.« »Nehmen Sie die Namen auf und bringen Sie mir die Liste.«
Die Untersuchungsrichter, die mit ihrer Zeit geizen müssen, sind bisweilen gezwungen, mehrere Untersuchungen zugleich zu führen. Deshalb müssen die Zeugen oft so lange in dem Zimmer warten, in dem sich die Gerichtsdiener aufhalten und in dem die Glocken der Untersuchungsrichter widerhallen.
»Nachher«, sagte Camusot zu seinem Gerichtsdiener, »werden Sie mir den Abbé Carlos Herrera holen.« »Ah, er spielt den Spanier, den Priester, hat man mir gesagt. Bah, das macht er Collet nach, Herr Camusot,« rief der Chef des Sicherheitsdienstes. »Es ist alles schon dagewesen,« erwiderte Camusot.
Und der Richter unterschrieb zwei jener furchtbaren Vorladungen, die jedermann besorgt machen, selbst die unschuldigsten Zeugen, wenn die Gerichtsbarkeit sie so unter Androhung schwerer Strafen im Fall des Ungehorsams zum Erscheinen auffordert.
In diesem Augenblick war Jakob Collin bereits seit etwa einer halben Stunde mit seiner gründlichen Überlegung fertig, und er stand unter Waffen. Nichts kann das Bild von dieser Gestalt aus dem Volk, das sich im Kampf mit den Gesetzen befindet, besser abrunden als die wenigen Zeilen, die er auf seine fettigen Papiere geschrieben hatte.
Der Inhalt des ersten war der folgende; denn geschrieben war er in der zwischen Asien und ihm vereinbarten Sprache:
»Geh zur Herzogin von Maufrigneuse oder zu Frau von Sérizy; die eine oder die andere muß Lucien vor seinem Verhör sprechen und ihm einliegendes Papier zu lesen geben. Schließlich mußt Du Europa und Paccard finden, – diese beiden Diebe müssen meiner Befehle harren und bereit sein, die Rolle zu spielen, die ich ihnen vorschreiben werde.
»Laufe zu Rastignac, sag ihm von seiten dessen, dem er auf dem Opernball begegnet ist, er müsse kommen und bezeugen, daß der Abbé Carlos Herrera in nichts dem Jakob Collin gleicht, der bei der Vauquer verhaftet wurde.
»Das gleiche beim Doktor Bianchon durchsetzen.
»Die beiden ›Lucien-Weiber‹ in diesem Sinne arbeiten lassen.«
Auf dem einliegenden Papier stand in gutem Französisch:
»Lucien, gib über mich nichts zu. Ich muß für Dich der Abbé Carlos Herrera sein. Das ist nicht nur Deine Rechtfertigung, sondern noch ein wenig Haltung, und Du hast auch sieben Millionen, außer der geretteten Ehre.«
Diese beiden Papiere klebte er auf der Schriftseite so zusammen, daß man glauben mußte, es sei ein Stück desselben Blattes; dann wurden sie mit einer jenen Sträflingen im Bagno eigenen Kunst zusammengerollt, die von den Mitteln und Wegen zur Freiheit geträumt haben. Das Ganze nahm die Form und die Konsistenz einer dicken Fettkugel an, ähnlich jenen Wachskugeln, die sparsame Frauen an die Nähnadeln setzen, wenn das Ohr zerbrochen ist.
›Wenn ich als erster zur Untersuchung gehe, so sind wir gerettet; wenn es aber der Kleine ist, so ist alles verloren,‹ sagte er während des Wartens.
Dieser Augenblick war so grausam, daß dem starken Menschen der helle Schweiß auf die Stirn trat. In dieser Welse erriet dieser fabelhafte Mann in seiner Sphäre des Verbrechens die Wahrheit, wie Molière es in der Sphäre der dramatischen Dichtung, Cuvier bei den Geheimnissen der Schöpfung tat. Das Genie ist bei allen Dingen Intuition. Unterhalb dieses Phänomens entspringen dem Talent bemerkenswerte Werke. Darin besteht der
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