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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Carlos wird dir schon jemanden bezeichnen, durch den du dich aus der Verlegenheit ziehen kannst.« »Ich bin nur die Mütze, du bist der Kopf,« sagte Camusot zu seiner Frau. »Nun also, die Beratung ist geschlossen, komm und umarme deine Melie, es ist ein Uhr ...« Und Frau Camusot ging zu Bett, indem sie ihren Gatten zurückließ, damit er für die Verhöre, die er am folgenden Tage mit den beiden Untersuchungsgefangenen vornehmen sollte, seine Papiere und seine Gedanken ordnen konnte.
    Während also die beiden Salatkutschen Jakob Collin und Lucien in die Conciergerie brachten, durchquerte der Untersuchungsrichter nach seinem Frühstück Paris zu Fuß, wie es der Einfachheit der Sitten entsprach, die sich die Pariser Richter zu eigen gemacht haben, um sich in sein Arbeitszimmer zu begeben, wo bereits alle Akten des Prozesses eingetroffen waren. Und zwar auf folgende Weise.
    Alle Untersuchungsrichter haben einen Kanzlisten, eine Art vereidigten Gerichtssekretärs, deren Geschlecht sich ohne Belohnungen und Ermutigungen fortpflanzt und ausgezeichnete Leute hervorbringt, die von Natur unverbrüchliches Schweigen bewahren. Im Palast ist seit der Gründung des Parlaments bis auf den heutigen Tag kein Beispiel einer von den Kanzlisten der Untersuchungsrichter begangenen Indiskretion bekannt geworden. Gentil hat die von Luise von Savoyen Semblançay erteilte Quittung verkauft, ein Schreiber des Kriegsministeriums hat Tschernitschew den Plan des russischen Feldzugs verkauft; all diese Verräter waren mehr oder minder reich. Hingegen genügen die Aussicht auf eine Stellung im Palast, in einer Kanzlei und das Amtsgewissen, um den Kanzlisten eines Untersuchungsrichters zum glücklichen Rivalen des Grabes zu machen; denn seit die Chemie ihre Fortschritte gemacht hat, ist selbst das Grab indiskret geworden. Dieser Beamte ist die Feder des Richters. Viele Leute werden es verstehen, wenn man die Achse einer Maschine bleibt, aber sie werden sich fragen, wie man deren Schraubenmutter sein mag; aber die Schraubenmutter ist glücklich; vielleicht hat sie Angst vor der Maschine? Camusots Kanzlist, ein Mensch von zweiundzwanzig Jahren names Coquart, war frühmorgens gekommen, um alle Akten und die Notizen des Richters zu holen, und er hatte in seinem Arbeitszimmer schon alles vorbereitet, als der Richter noch die Kais entlang schlenderte, sich die Kuriositäten in den Läden ansah und sich selber fragte:
    ›Was soll man mit einem so schlauen Burschen wie Jakob Collin anfangen, vorausgesetzt, daß er es ist? Der Chef der Sicherheit wird ihn wiedererkennen; ich muß tun, als täte ich, was meines Amtes ist, und wäre es nur um der Polizei willen! Ich sehe so viel Unmöglichkeiten, daß es das beste wäre, die Marquise und die Herzogin aufzuklären, indem ich ihnen die Polizeiakten zeigte; dabei würde ich noch meinen Vater rächen, dem Lucien Coralie genommen hat ... Wenn ich so schwarze Verbrecher bloßstelle, wird meine Geschicklichkeit bekannt, und Lucien wird bald von seinen Freunden verleugnet werden. Nun, das Verhör wird darüber entscheiden.‹
    Er trat, angelockt von einer Boule-Uhr, in einen Kuriositätenladen. ›Mein Gewissen nicht belügen und den beiden großen Damen einen Dienst erweisen, das ist ein Meisterwerk der Gewandtheit,‹ dachte er. »Ah, Sie auch da, Herr Oberstaatsanwalt« sagte Camusot mit lauter Stimme, »Sie suchen Medaillen?« »Das ist eine Liebhaberei fast aller Juristen,« erwiderte lachend der Graf von Granville, »der Rückseiten wegen.« Und nachdem er ein paar Minuten den Laden betrachtet hatte, als beende er seine Prüfung, führte er Camusot am Kai entlang, ohne daß Camusot an mehr als einen Zufall glauben konnte.
    »Sie werden heute morgen Herrn von Rubempré verhören,« sagte der Oberstaatsanwalt. »Der arme junge Mann! Ich hatte ihn gern ...« »Es liegt vieles gegen ihn vor,« sagte Camusot. »Ja, ich habe die Polizeiakten eingesehen; aber sie stammen zum Teil von einem Agenten, der nichts mit der Präfektur zu tun hat, von dem berüchtigten Corentin, einem Menschen, der mehr Unschuldigen den Hals abgeschnitten hat, als Sie Schuldige aufs Schafott schicken werden, und ... Aber dieser Schlingel ist Ihnen nicht erreichbar. Ohne das Gewissen eines Richters, wie Sie es sind, beeinflussen zu wollen, kann ich mich doch nicht enthalten. Sie darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn Sie die Überzeugung gewinnen können, Lucien habe von dem Testament dieses Mädchens nichts gewußt, daraus folgen

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