Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
von Rubempré!« sagte Carlos murmelnd. »Ach, das ist einer der schlimmsten Fehler meines Lebens!« Er hob die Augen gen Himmel; und nach der Art, wie er die Lippen bewegte, schien er ein glühendes Gebet zu sprechen.
»Aber wenn Sie Jakob Collin sind, wenn er wissentlich der Genosse eines entsprungenen Sträflings, eines Kirchenschänders war, so werden all die Verbrechen, die die Justiz argwöhnt, mehr als wahrscheinlich.«
Carlos Herrera hörte diesen Satz, den der Richter geschickt hinwarf, als wäre er aus Bronze; und bei den Worten ›wissentlich‹ und ›entsprungenen Sträflings‹ hob er statt aller Antwort in einer Geste edlen Schmerzes die Hände. »Herr Abbé,« fuhr der Richter in äußerster Höflichkeit fort, »Sie werden uns alles verzeihen, was wir im Interesse der Justiz und der Wahrheit zu tun genötigt werden, wenn Sie Don Carlos Herrera sind ...«
Jakob Collin erriet gleich an dem Ton des Richters die Falle, als jener die Worte ›Herr Abbé‹ aussprach: die Züge dieses Menschen blieben die gleichen; Camusot erwartete eine Bewegung der Freude, die ein erstes Zeichen dafür gewesen wäre, welche unsägliche Genugtuung der Sträfling und Verbrecher empfand, weil er seinen Richter täuschen konnte; aber der Heros des Bagno stand unter den Waffen der machiavellistischsten Verstellung.
»Ich bin Diplomat und gehöre einem Orden an, in dem man sehr strenge Gelübde ablegt; ich verstehe alles und bin daran gewöhnt, zu leiden. Ich wäre schon frei, wenn Sie bei mir das Versteck gefunden hätten, in dem meine Papiere liegen; denn ich sehe. Sie haben nur Blätter ohne jede Bedeutung beschlagnahmt ...«
Das war für Camusot ein Gnadenstoß: Jakob Collin hatte bereits durch seine Ruhe und seine Einfachheit jeden Argwohn wieder ausgeglichen, den der Anblick seines Kopfes geweckt hatte. »Wo sind diese Papiere?« »Ich werde Ihnen das Versteck angeben, wenn Sie Ihren Boten von einem Sekretär der spanischen Gesandtschaft begleiten lassen wollen; der wird sie in Empfang nehmen, und ihm werden Sie dafür haften, denn es handelt sich um meinen Staat, um diplomatische Akten und um Geheimnisse, die den verstorbenen König Ludwig XVIII. bloßstellen. Ach, Herr Richter, es wäre besser... Nun, Sie sind Richter!... Übrigens wird der Gesandte, auf den ich mich in all dem berufe, entscheiden.«
In diesem Augenblick traten der Arzt und der Krankenwärter ein, nachdem der Gerichtsdiener sie gemeldet hatte. »Guten Tag, Herr Lebrun,« sagte Camusot; »ich habe Sie holen lassen, um festzustellen, in welchem Gesundheitszustand sich dieser Untersuchungsgefangene hier befindet. Er sagt, er sei vergiftet worden; er behauptet, seit vorgestern im Sterben zu liegen; sehen Sie zu, ob es gefährlich ist, ihn auszukleiden und zur Feststellung des Brandmals zu schreiten ...«
Der Doktor Lebrun ergriff Jakob Collins Hand, fühlte ihm den Puls, ließ ihn die Zunge herausstrecken und sah ihn sehr aufmerksam an. Diese Untersuchung dauerte zehn Minuten.
»Der Untersuchungsgefangene«, sagte der Doktor, »hat schwer gelitten, aber er erfreut sich in diesem Augenblick großer Kraft ...« »Diese trügerische Kraft, Herr Doktor, ist die Folge der nervösen Erregung, in die mich meine seltsame Lage versetzt,« erwiderte Jakob Collin mit der Würde eines Bischofs. »Das ist möglich,« sagte Herr Lebrun.
Auf einen Wink des Richters wurde der Gefangene entkleidet; man ließ ihm seine Hose, aber alles andere zog man ihm aus, selbst das Hemd; und nun konnte man einen behaarten Rumpf von zyklopischer Kraft bewundern. Es war der neapolitanische Herkules Farnese ohne seine riesenhafte Übertreibung. »Wozu bestimmt die Natur so gebaute Menschen! ...« sagte der Arzt zu Camusot.
Der Gerichtsdiener kehrte mit jenem Ebenholzschlegel zurück, der seit unvordenklichen Zeiten das Wahrzeichen des Amtes ist und den man den Pedellenstab nennt; er schlug ein paarmal damit auf die Stelle, wo der Henker die schändenden Buchstaben aufgedrückt hatte. Siebzehn Löcher wurden sichtbar, alle launisch verteilt; aber trotz der Sorgfalt, mit der man den Rücken untersuchte, erkannte man nirgends die Form eines Buchstabens. Nur machte der Gerichtsdiener darauf aufmerksam, daß der Querstrich des T von zwei Löchern markiert wurde, deren Abstand so lang war, wie dieser Strich zwischen den beiden Kommas, die ihn an den Enden abschließen, sein müßte, während ein weiteres Loch das untere Ende des Hauptstrichs angab. »Das ist doch recht unbestimmt,«
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