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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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vor dem Richter, nehmen Sie sich in acht...« sagte Herr Camusot streng. Frau Poiret bewahrte Schweigen. »Suchen Sie Ihre Erinnerungen zusammen,« fuhr Camusot fort. »Entsinnen Sie sich dieses Menschen?... Würden Sie ihn wiedererkennen?« »Ich glaube.« »Ist es der Mann da?« fragte der Richter.
    Frau Poiret setzte ihre Brille auf und sah den Abbé Carlos Herrera an. »Es sind seine Schultern, sein Wuchs; aber ... nein ... doch ... Herr Richter,« erwiderte sie; »wenn ich seine Brust nackt sehen könnte, würde ich ihn auf der Stelle wiedererkennen.« (Siehe ›Vater Goriot‹.)
    Der Richter und der Kanzlist konnten sich trotz des Ernstes ihrer Obliegenheiten eines Lachens nicht erwehren; Jakob Collin teilte ihre Heiterkeit, doch mit Mäßigung. Der Untersuchungsgefangene hatte den Rock, den Bibi-Lupin ihm ausgezogen hatte, noch nicht wieder angelegt, und auf einen Wink des Richters öffnete er gefällig sein Hemd. »Es ist seine Behaarung... Aber sie ist grau geworden, Herr Vautrin!« rief Frau Poiret aus.
    »Was haben Sie darauf zu erwidern?« fragte der Richter den Untersuchungsgefangenen. »Das ist eine Wahnsinnige!« »Ach, mein Gott, wenn ich noch einen Zweifel hätte, denn dasselbe Gesicht hat er nicht mehr, so würde diese Stimme genügen... Er ist es, der mich bedroht hat... Ah, das ist sein Blick!«
    »Der Agent der Kriminalpolizei und diese Frau«, fuhr der Richter fort, indem er sich an Jakob Collin wandte, »haben sich nicht verständigen können, um die gleichen Dinge über Sie auszusagen, denn weder der eine noch die andere hatten Sie vorher gesehen; wie erklären Sie sich das?« »Die Rechtsprechung hat wohl noch größere Irrtümer begangen, als der es ist, zu dem das Zeugnis dieser Frau, die einen Menschen an der Behaarung seiner Brust wiedererkennt, und der Verdacht eines Polizeiagenten führen würden,« erwiderte Jakob Collin. »Man findet bei mir Ähnlichkeiten mit einem großen Verbrecher, das ist schon recht unbestimmt. Was die Erinnerung angeht, die zwischen der Frau und meinem Doppelgänger Beziehungen beweisen würde, über die sie nicht errötet ... so haben Sie selbst darüber gelacht. Wollen Sie, Herr Richter, im Interesse der Wahrheit, die ich für meine Rechnung lebhafter festzustellen wünsche, als Sie es für Rechnung der Justiz wünschen können ... wollen Sie diese Frau ... Foi-« »Poiret.« »Poiret – verzeihen Sie ... ich bin Spanier – fragen, ob sie sich entsinnt, welche anderen Leute in dieser ... Wie nennen Sie das Haus?« »Ein bürgerliches Kosthaus,« sagte Frau Poiret. »Ich weiß nicht, was das ist,« erwiderte Jakob Collin. »Das ist ein Haus, in dem man auf sein Frühstück und sein Mittagbrot abonniert.«
    »Sie haben recht,« rief Camusot aus, indem er mit dem Kopf eine Jakob Collin günstige Bewegung machte; so sehr beeinflußte ihn der offenbar gute Wille, mit dem er ihm die Mittel angab, wie man zu einem Ergebnis kommen könnte. »Versuchen Sie, sich der Abonnenten zu entsinnen, die sich zur Zelt der Verhaftung Jakob Collins in der Pension befanden.« »Da wohnten Herr von Rastignac, der Doktor Bianchon, Vater Goriot, Fräulein Taillefer...« »Schön,« sagte der Richter, der Jakob Collin unablässig beobachtete; doch dessen Gesicht blieb unerschüttert. »Nun also, dieser Vater Goriot ...« »Der ist tot,« sagte Frau Poiret.
    »Herr Richter,« sagte Jakob Collin, »ich bin bei Lucien mehrmals einem Herrn von Rastignac begegnet, der, wie ich glaube, mit Frau von Nucingen befreundet ist; und wenn von ihm die Rede sein sollte, so hat er mich niemals für den Sträfling gehalten, mit dem man mich zu verwechseln sucht...« »Herr von Rastignac und Doktor Blanchon nehmen beide eine solche soziale Stellung ein, daß ihr Zeugnis, wenn es Ihnen günstig ist, genügen würde, damit man Sie freiläßt. – Coquart, stellen Sie die Vorladungen aus.«
    In wenigen Minuten waren die Formalitäten der Aussage der Frau Poiret erledigt; Coquart las ihr das Protokoll der Szene, die sich eben abgespielt hatte, vor, und sie unterschrieb es; aber der Untersuchungsgefangene verweigerte die Unterschrift, indem er sich darauf berief, daß ihm die Formen der französischen Rechtsprechung unbekannt seien.
    »Das dürfte wohl für heute genug sein,« sagte Herr Camusot; »Sie werden das Bedürfnis fühlen, einige Nahrung zu sich zu nehmen; ich werde Sie in die Conciergerie zurückführen lassen.« »Ach, ich leide zu sehr, als daß ich essen könnte,« erwiderte Jakob

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