Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
sagte Camusot, als er sah, wie sich auf dem Gesicht des Arztes der Conciergerie der Zweifel malte, Carlos verlangte, daß man den gleichen Versuch auf der andern Schulter und mitten auf dem Rücken wiederholte. Es wurden etwa fünfzehn weitere Narben sichtbar, die der Doktor auf Verlangen des Spaniers ansah; und er erklärte, der Rücken sei so tief von Wunden durchfurcht worden, daß das Mal selbst dann nicht wieder sichtbar werden könnte, wenn der Henker es aufgedrückt hätte.
In diesem Augenblick trat ein Bureaudiener der Polizeipräfektur ein, überreichte Herrn Camusot ein Schriftstück und bat um Antwort. Als der Richter es gelesen hatte, trat er zu Coquart und sprach mit ihm, doch flüsterte er ihm seine Worte so leise ins Ohr, daß niemand etwas hören konnte. Nur Jakob Collin erriet an einem Blick Camusots, daß soeben der Polizeipräfekt eine Auskunft über ihn übermittelt hatte. ›Ich habe immer noch Peyrades Freund auf den Fersen.‹ dachte Jakob Collin; ›wenn ich ihn kennte, würde ich mich seiner wie Contensons entledigen. Wenn ich nur Asien noch einmal sehen könnte!...‹
Als der Richter das von Coquart geschriebene Papier unterzeichnet hatte, tat er es in ein Kuvert und reichte es dem Boten des Kommissionsbureaus. Das Kommissionsbureau ist ein der Justiz unentbehrliches Hilfsmittel. Es wird geleitet von einem Polizeikommissar, der ad hoc ernannt wird, und setzt sich zusammen aus Polizeibeamten, die mit Hilfe der Polizeikommissare der einzelnen Quartiere die Haussuchungen und selbst Verhaftungen in den Häusern derer vornehmen, die in Verdacht stehen, an Verbrechen oder Vergehungen mitschuldig zu sein. Diese Kommissionäre der Gerichtsgewalt ersparen den Richtern, die mit einer Untersuchung betraut sind, kostbare Zeit.
Auf einen Wink des Richters wurde der Untersuchungsgefangene von Herrn Lebrun und dem Krankenwärter wieder angekleidet; dann zogen die beiden sich mit dem Gerichtsdiener zurück. Camusot setzte sich an seinen Schreibtisch und begann mit seiner Feder zu spielen. »Sie haben eine Tante,« sagte er dann unvermittelt zu Jakob Collin. »Eine Tante!« erwiderte Carlos Herrera erstaunt; »aber, Herr Richter, ich habe keine Verwandten; ich bin ein nicht anerkanntes Kind des verstorbenen Herzogs von Ossuna.« Und bei sich selber sagte er: ›Sie brennen!‹ eine Anspielung auf das Versteckspiel, das übrigens ein kindliches Bild des furchtbaren Kampfes zwischen der Justiz und dem Verbrecher ist.
»Bah!« sagte Camusot, »geben Sie's zu, Sie haben Ihre Tante noch, Fräulein Jacqueline Collin, die Sie unter dem wunderlichen Namen Asien bei der Fräulein Esther untergebracht haben.« Jakob Collin zuckte gleichgültig mit den Schultern, wie es vollkommen der neugierigen Miene entsprach, mit der er die Worte des Richters entgegennahm, während ihn der mit heimtückischer Aufmerksamkeit ansah. »Nehmen Sie sich in acht,« fuhr Camusot fort; »und hören Sie mir genau zu.« »Ich höre, Herr Richter.« »Ihre Tante hat einen Handel auf dem Trödelmarkt; er wird geführt von einem Fräulein Paccard, der Schwester eines Verurteilten, übrigens einem sehr ehrenwerten Mädchen, mit dem Beinamen ›die Romette‹. Die Justiz ist ihrer Tante auf der Spur, und in wenigen Stunden werden wir entscheidende Beweise in Händen haben. Diese Frau ist Ihnen sehr ergeben...« »Fahren Sie fort, Herr Richter,« sagte Jakob Collin ruhig, und zwar als Antwort auf die Pause, die Camusot machte, »ich höre Ihnen zu.« »Ihre Tante, die um etwa fünf Jahre älter ist als Sie, ist die Geliebte Marats, unseligen Angedenkens, gewesen. Aus dieser blutigen Quelle stammt der Kern des Vermögens, das sie besitzt ... Sie ist nach den Auskünften, die ich erhalte, eine sehr gewandte Hehlerin, denn man hat noch keine Beweise gegen sie. Nach dem Tode Marats soll sie, wie man mir mitteilt – ich halte den Bericht hier in Händen – einem im Jahre XII wegen Falschmünzerei zum Tode verurteilten Chemiker angehört haben. Sie ist als Zeugin im Prozeß vernommen worden. Während dieses intimen Verkehrs soll sie sich Kenntnisse in der Toxikologie erworben haben. Vom Jahre XII bis 1806 ist sie Kleiderhändlerin gewesen. In den Jahren 1812 und 1816 hat sie zwei Jahre Gefängnis verbüßt, weil sie Minderjährige verkuppelt hatte ... Sie selbst waren wegen Fälschung schon damals vorbestraft, Sie hatten das Bankhaus verlassen, in dem Ihre Tante Ihnen dank der Erziehung, die Sie genossen haben, und dank der Beziehungen, die sie zu
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