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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Leuten hatte, deren Verderbtheit sie ihre Opfer lieferte, eine Stellung als Kommis verschafft hatte ... All das, Gefangener, würde wenig zur Größe der Herzöge von Ossuna stimmen ... Bleiben Sie bei Ihrem Leugnen?«
    Während Jakob Collin Herrn Camusot anhörte, dachte er an seine glückliche Kindheit im Kloster der Oratorianer, das er verlassen hatte; diese Gedanken gaben ihm den wahrhaft erstaunten Ausdruck. Trotz der Gewandtheit seiner fragenden Redeweise entlockte Camusot diesen ruhigen Zügen nicht die geringste Bewegung.
    »Wenn Sie die Erklärung, die ich Ihnen gleich zu Anfang gab, getreu niedergeschrieben haben, so können Sie sie wieder durchlesen,« erwiderte Jakob Collin; »ich kann mir nicht widersprechen... Ich habe bei der Kurtisane nicht verkehrt; wie sollte ich wissen, wen sie zur Köchin hatte? Ich bin den Personen, von denen Sie sprechen, völlig fremd.« »Wir werden trotz Ihres Leugnens zu Gegenüberstellungen schreiten, die Ihre Zuversicht erschüttern dürften.« »Ein schon einmal füsilierter Mann ist an alles gewöhnt,« erwiderte Jakob Collin sanft.
    Camusot wandte sich wieder den beschlagnahmten Papieren zu, während er auf die Rückkehr des Chefs des Sicherheitsdienstes wartete; der hatte sich sehr beeilt, denn es war halb zwölf, gegen halb elf hatte das Verhör begonnen, und jetzt kam der Gerichtsdiener, um dem Richter mit leiser Stimme zu melden, daß Bibi-Lupin eingetroffen sei. »Er soll eintreten!« erwiderte Herr Camusot.
    Beim Eintritt blieb Bibi-Lupin, von dem man ein ›Er ist es!‹ erwartete, überrascht stehen. Er erkannte den Kopf seines ›Kunden‹ nicht in diesem pockennarbigen Gesicht. Das Zögern machte tiefen Eindruck auf den Richter. »Es ist sein Wuchs, seine Korpulenz,« sagte der Agent. »Ah, du bist es, Jakob Collin,« fuhr er fort, indem er die Augen, den Schnitt der Stirn und die Ohren prüfte. »Es gibt Dinge, die man nicht verwandeln kann ... Er ist es, Herr Camusot ... Jakob trägt auf dem linken Arm die Narbe eines Messerstichs; lassen Sie ihm seinen Rock ausziehen, dann werden Sie sehen ...«
    Von neuem wurde Jakob Collin gezwungen, seinen Rock auszuziehen; Bibi-Lupin streifte ihm den Ärmel des Hemdes hoch und zeigte die genannte Narbe. »Das ist eine Kugel,« erwiderte Don Carlos Herrera; »hier sind viele Narben.« »Ah, das ist auch seine Stimme!« rief Bibi-Lupin. »Ihre Gewißheit«, sagte der Richter, »gilt nur als einfache Auskunft, nicht als Beweis.« »Ich weiß,« erwiderte Bibi-Lupin demütig, »aber ich werde Zeugen für Sie finden. Die eine der Pensionärinnen des Hauses Vauquer ist schon da ...« sagte er mit einem Blick auf Collin. Das ruhige Gesicht, das Collin bewahrte, zuckte nicht. »Lassen Sie diese Person eintreten,« sagte Herr Camusot sehr bestimmt; trotz seiner scheinbaren Gleichgültigkeit blickte seine Unzufriedenheit durch.
    Diese Regung fiel Jakob Collin, der wenig mit der Sympathie seines Untersuchungsrichters rechnete, auf. Er versank in eine Apathie, die die Folge des angestrengten Nachdenkens war, dem er sich auf der Suche nach ihrem Grunde überließ. Der Gerichtsdiener führte Frau Poiret herein, deren unerwarteter Anblick bei dem Sträfling ein leichtes Zittern zur Folge hatte; aber dieses Erbeben wurde von dem Richter, der seine Entscheidung gefällt zu haben schien, nicht bemerkt.
    »Wie heißen Sie?« fragte der Richter, indem er zur Erfüllung der Formalitäten schritt, die allen Aussagen und Verhören vorhergehen.
    Frau Poiret, eine kleine weiße Greisin, runzlig wie eine Kalbsmilch, bekleidet mit einem Kleid aus grober blauer Seide, erklärte, sie heiße Christine Michelina Michonneau, Gattin des Herrn Poiret; sie sei einundfünfzig Jahre alt, in Paris geboren, wohne Rue des Poules, Ecke Rue des Postes, und treibe als Gewerbe das einer Zimmervermieterin. »Sie haben«, sagte der Richter, »1818 und 1819 in einem bürgerlichen Kosthaus gewohnt, das von einer Frau Vauquer gehalten wurde?« »Ja, Herr Richter, da habe ich die Bekanntschaft des Herrn Poiret, eines pensionierten Beamten, gemacht, der später mein Mann wurde; seit einem Jahr muß ich ihn im Bett hüten... Der Arme! er ist so krank. Deshalb kann ich auch nicht lange von zu Hause wegbleiben.« »Damals lebte in dieser Pension ein gewisser Vautrin?« fragte der Richter. »Oh, Herr Richter, das ist eine ganze Geschichte! Das war ein furchtbarer Galeerensträfling...« »Sie haben bei seiner Verhaftung mitgewirkt.« »Das ist nicht wahr...« »Sie stehen

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