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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Justizpalast ist ein wirrer Haufe übereinandergetürmter Bauten, von denen die einen voll Größe sind, die andern aber ärmlich; durch den Mangel an Einheit schaden sie sich gegenseitig. Der Vorsaal ist der größte aller bekannten Säle; aber seine Kahlheit stößt ab und befremdet die Augen. Diese ungeheure Kathedrale der Rechtsverdrehung erdrückt das zweitinstanzliche Gericht. Schließlich führt die Händlergalerie zu zwei Kloaken. In dieser Galerie bemerkt man eine Doppeltreppe, die ein wenig größer ist, als die des Zuchtpolizeigerichts; unten führt sie zu einer großen doppelflügligen Tür. Die Treppe geht zum Schwurgericht, und die untere Tür öffnet sich in einen zweiten Schwurgerichtssaal. Es gibt Jahre, in denen die im Departement der Seine begangenen Verbrechen zwei Tagungen erforderlich machen. Dort unten befinden sich auch die Räume des Oberstaatsanwalts, die Anwaltskammer, die Bibliothek der Anwälte, die Zimmer der Staatsanwälte und der stellvertretenden Oberstaatsanwälte. All diese Räume – denn man muß sie doch unter einem Gattungsnamen zusammenfassen – stehen durch kleine Wendeltreppen und durch düstere Gänge miteinander in Verbindung, wie sie für die Architektur und die Stadt Paris und Frankreich eine Schmach sind. In seinen Innenräumen übertrifft der erste unserer höchsten Gerichtshöfe die Gefängnisse im Scheußlichsten, was sie haben. Der Sittenschilderer würde vor der Notwendigkeit zurückweichen, den elenden Gang von einem Meter Breite, wo sich die Zeugen für das erste Schwurgericht aufhalten, zu schildern. Was den Ofen angeht, der dazu dient, den Sitzungssaal zu heizen, so würde er einem Café des Boulevard Montparnasse Unehre machen.
    Das Zimmer des Oberstaatsanwalts ist in einen achteckigen Pavillon eingebaut, der den Bau der Händlergalerie flankiert und der im Verhältnis zum Alter des Palastes erst kürzlich vom Gebiet des Gefängnishofes in der Frauenabteilung abgetrennt wurde. Dieser ganze Teil des Palastes wird beschattet von den hohen und prachtvollen Bauten der Sainte-Chapelle. Daher ist es dort düster und still.
    Herr von Granville, ein würdiger Nachfolger der großen Richter des alten Parlaments, hatte den Palast nicht verlassen wollen, ohne daß in Luciens Angelegenheit eine Lösung eingetreten war. Er erwartete Nachricht von Camusot, und die Botschaft des Richters tauchte ihn in jene unwillkürliche Träumerei, die die Erwartung selbst bei den festesten Geistern zur Folge hat. Er saß in der Fensternische seines Zimmers, stand auf und begann hin und her zu gehen, denn er hatte Camusot morgens, als er sich ihm in den Weg gestellt hatte, wenig verständnisvoll gefunden; er spürte eine unbestimmte Unruhe, er litt. Der Grund war dieser. Die Würde seines Amtes erlaubte ihm nicht, die absolute Unabhängigkeit des untergebenen Richters zu verletzen, und es handelte sich in diesem Prozeß um die Ehre und das Ansehen seines besten Freundes, eines seiner wärmsten Fürsprecher, des Grafen von Sérizy, eines Staatsministers, des Vizepräsidenten des Staatsrates, des künftigen Kanzlers von Frankreich, falls der edle Greis, der dieses erhabene Amt zurzeit ausfüllte, sterben sollte. Herr von Sérizy hatte das Unglück, seine Frau trotz allem anzubeten; er deckte sie stets mit seiner Person. Nun erriet der Oberstaatsanwalt sehr wohl, welches furchtbare Aufsehen in der Gesellschaft und bei Hofe die Schuld eines Mannes machen mußte, dessen Name so oft boshaft mit dem der Gräfin zusammen genannt worden war.
    ›Ach!‹ sagte er bei sich selber, indem er die Arme kreuzte, ›ehemals hatte die Macht die Möglichkeit, eine höhere Instanz eingreifen zu lassen ... Unsere Gleichheitsmanie‹ – er wagte nicht zu sagen ›Gesetzlichkeitsmanie‹, wie es kürzlich in der Kammer ein Dichter mutig zugegeben hat – ›wird diese Zeit töten ...‹
    Dieser würdige Richter kannte die fortreißende Kraft und das Unglück ungesetzlicher Verbindungen. Esther und Lucien hatten, wie man weiß, die Wohnung genommen, in der der Graf von Granville heimlich mit Fräulein von Bellefeuille ein eheliches Leben geführt hatte und aus der sie eines Tages, entführt von einem Elenden, entflohen war.
    In dem Augenblick, als der Oberstaatsanwalt sich sagte: ›Camusot wird uns irgendeine Dummheit angerichtet haben!‹ pochte der Untersuchungsrichter zweimal an die Tür des Zimmers. »Nun, mein lieber Camusot, wie steht es mit der Angelegenheit, von der ich Ihnen heute morgen sprach?«

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