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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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eines weit größeren Verbrechens getrieben ...« »Welches?« fragte sie. »Er hat zugegeben,« sagte Herr von Granville ihr ins Ohr, »daß er der Freund, der Schüler eines entsprungenen Sträflings war. Der Abbé Carlos Herrera, jener Spanier, der seit etwa sieben Jahren mit ihm zusammenlebte, soll unser berühmter Jakob Collin sein ...«
    Frau von Sérizy erhielt ebensoviel Schläge mit einer Eisenstange, wie dieser Richter Worte sprach, aber dieser berühmte Name war der Gnadenstoß. »Und die Moral von all dem?« sagte sie mit einer Stimme, die nur noch ein Hauch war. »Ist,« erwiderte Herr von Granville, indem er den Satz der Gräfin flüsternd fortsetzte, »daß der Verbrecher vors Schwurgericht gestellt wird; und wenn Lucien dort nicht an seiner Seite steht, weil er wissentlich aus den Verbrechen dieses Menschen Nutzen gezogen hat, so wird er als schwer kompromittierter Zeuge erscheinen müssen.« »Ah, niemals! ...« rief sie laut mit unglaublicher Festigkeit. »Was mich angeht, so würde ich nicht schwanken zwischen dem Tode und der Aussicht, einen Mann, den die Welt als meinen besten Freund angesehen hat, gerichtlicherseits zum Kameraden eines Sträflings stempeln zu lassen ... Der König liebt meinen Gatten ...« »Gnädige Frau,« sagte der Oberstaatsanwalt lächelnd mit lauter Stimme, »der König hat nicht die geringste Macht über den kleinsten Untersuchungsrichter seines Reiches oder über die Verhandlungen eines Schwurgerichts. Darin liegt die Größe unserer neuen Einrichtungen. Ich selber habe eben Herrn Camusot zu seiner Geschicklichkeit beglückwünscht ...« »Zu seinem Ungeschick,« verbesserte die Gräfin lebhaft; denn Luciens Verkehr mit einem Banditen machte ihr weit weniger Sorge als seine Verbindung mit Esther. »Wenn Sie die Verhöre läsen, denen Herr Camusot die beiden Untersuchungsgefangenen unterworfen hat, so würden Sie sehen, daß alles von ihm abhängt ...«
    Nach diesem Satz, dem einzigen, den der Oberstaatsanwalt sich erlauben konnte, und nach einem Blick von weiblicher oder, wenn man will, richterlicher Feinheit ging er zur Tür seines Zimmers; auf der Schwelle fügte er, indem er sich umwandte, hinzu: »Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich habe Bauvan ein paar Worte zu sagen.« Das hieß für die Gräfin in der Sprache der Gesellschaft: ›Ich darf bei dem, was zwischen Ihnen und Camusot vorgehen wird, nicht Zeuge sein.‹
    »Was für Verhöre sind denn das?« fragte Leontine Camusot sanft; er stand wie ein Armersünder vor der Frau eines der größten Staatsmänner. »Gnädige Frau,« erwiderte Camusot, »ein Kanzlist schreibt die Fragen des Richters und die Antworten des Gefangenen auf; das Protokoll wird von dem Kanzlisten, dem Richter und dem Untersuchungsgefangenen unterschrieben. Diese Protokolle bilden die Grundlage für das Verfahren, sie entscheiden darüber, ob die Anklage erhoben wird und die Angeklagten vor das Schwurgericht gestellt werden.« »Also,« fuhr sie fort, »wenn man nun diese Verhöre unterschlüge?« »Ach, gnädige Frau, das wäre ein Verbrechen, wie es kein Richter begehen kann; ein soziales Verbrechen!« »Es ist ein noch größeres Verbrechen gegen mich, daß Sie sie geschrieben haben; aber in diesem Augenblick bilden sie den einzigen Beweis für Luciens Schuld. Lassen Sie sehen, lesen Sie mir sein Verhör vor, damit ich sehe, ob noch ein Mittel bleibt, uns alle zu retten: es handelt sich nicht nur um mich, denn ich würde kalten Blutes in den Tod gehen, es handelt sich auch um das Glück des Herrn von Sérizy.« »Gnädige Frau,« sagte Camusot, »glauben Sie nicht, daß ich vergessen hätte, welche Rücksicht ich Ihnen schuldig bin. Wenn zum Beispiel Herr Popinot mit dieser Untersuchung betraut worden wäre, so wären Sie noch unglücklicher gewesen, als Sie es bei mir sind; denn er hätte nicht den Oberstaatsanwalt um Rat gefragt; man würde nichts erfahren. Sehen Sie, gnädige Frau, man hat bei Lucien alles beschlagnahmt, selbst Ihre Briefe ...« »O meine Briefe!« »Hier sind sie, versiegelt,« sagte der Richter.
    Die Gräfin schellte in ihrer Aufregung, als wäre sie zu Hause, und der Bureaudiener des Oberstaatsanwalts trat ein. »Licht,« sagte sie.
    Der Diener entzündete eine Kerze und stellte sie auf den Kamin, während die Gräfin ihre Briefe durchsah, zählte, zerriß und in den Kamin warf. Dann entzündete die Gräfin diesen Papierhaufen, indem sie den letzten Brief zusammendrehte und als Fidibus benutzte. Camusot sah wie ein Tropf

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