Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
zu, während die Papiere aufflammten; er hielt seine beiden Protokolle in der Hand. Die Gräfin, die einzig damit beschäftigt schien, die Beweise ihrer Zärtlichkeit zu vernichten, beobachtete den Richter aus den Augenwinkeln heraus. Sie wartete ihren Augenblick ab; sie berechnete seine Bewegungen und ergriff dann mit Katzenbehendigkeit die beiden Protokolle und warf sie ins Feuer. Aber Camusot riß sie zurück, die Gräfin stürzte sich auf den Richter und ergriff die brennenden Papiere von neuem. Es folgte ein Kampf, während dessen Camusot rief: »Gnädige Frau! Gnädige Frau! Sie begehen ein ... Gnädige Frau!«
Ein Mann stürzte ins Zimmer hinein, und die Gräfin konnte einen Schrei nicht unterdrücken, als sie den Grafen von Sérizy erkannte, dem die Herren von Granville und von Bauvan folgten, Nichtsdestoweniger ließ Leontine, die Lucien um jeden Preis retten wollte, die furchtbaren gestempelten Papiere, die sie mit der Kraft einer Zange festhielt, nicht los, obgleich die Flamme bereits auf ihrer zarten Haut Brandflecke hervorgerufen hatte. Schließlich schien Camusot, dessen Finger gleichfalls schon Brandwunden trugen, sich dieser Situation zu schämen und gab die Papiere preis; es war nur noch das wenige von ihnen übrig, was die Hände der beiden Kämpfenden bedeckt hatten; dahin war die Flamme noch nicht gedrungen. Diese Szene hatte sich in kürzerer Zeit abgespielt, als man den Bericht darüber lesen kann.
»Um was konnte es sich zwischen Ihnen und Frau von Sérizy handeln?« fragte der Staatsminister Camusot.
Ehe der Richter antwortete, hielt die Gräfin die Papiere an die Kerze und warf sie auf die Fragmente ihrer Briefe, die das Feuer noch nicht völlig verzehrt hatte. »Ich könnte«, sagte Camusot, »Klage führen gegen die Frau Gräfin.« »Ah, was hat sie getan?« fragte der Oberstaatsanwalt, indem er abwechselnd die Gräfin und den Richter ansah. »Ich habe die Protokolle verbrannt,« erwiderte lachend die elegante Frau, die über ihren Streich so glücklich war, daß sie ihre Brandwunden noch nicht spürte. »Wenn das ein Verbrechen ist, nun, so kann der Herr ja seine scheußliche Kritzelei von neuem beginnen.« »Freilich,« erwiderte Camusot mit einem Versuch, seine Würde wiederzufinden.
»Nun, da steht ja alles zum besten,« sagte der Oberstaatsanwalt. »Aber, teure Gräfin, Sie dürfen sich nicht oft den Richtern gegenüber solche Freiheiten erlauben, denn die könnten sonst vergessen, wer Sie sind.« »Herr Camusot hat tapfer einer Frau widerstanden, der sonst nichts widersteht: die Ehre seines Amtskleides ist gerettet!« sagte lachend der Graf von Bauvan. »Ah, Herr Camusot hat Widerstand geleistet?...« fragte lachend der Oberstaatsanwalt; »er ist tapfer, denn ich würde es nicht wagen, der Gräfin Widerstand zu leisten.«
Im Augenblick wurde dieses ernste Attentat zum Scherz einer hübschen Frau, über den Camusot selber lachen mußte.
Der Oberstaatsanwalt aber bemerkte jetzt einen Mann, der nicht lachte. Mit Recht erschreckt über die Haltung und den Ausdruck des Grafen von Sérizy, nahm Herr von Granville ihn beiseite. »Lieber Freund,« sagte er ihm ins Ohr, »dein Schmerz bestimmt mich, mich zum ersten- und letztenmal in meinem Leben mit meiner Pflicht abzufinden.«
Er schellte; sein Bureaudiener trat ein. »Bitten Sie Herrn von Chargeboeuf, zu mir zu kommen.« Herr von Chargeboeuf, ein junger Advokat, war der Sekretär des Oberstaatsanwalts.
»Mein lieber Herr,« fuhr der Oberstaatsanwalt fort, indem er Camusot in die Fensternische zog, »gehen Sie in Ihr Zimmer und stellen Sie mit einem Kanzlisten das Verhör des Abbé Carlos Herrera wieder her; denn da er es nicht unterschrieben hat, so kann man es ohne Schwierigkeit neu schreiben. Morgen werden Sie diesen spanischen Diplomaten mit den Herren Rastignac und Bianchon konfrontieren; sie werden in ihm unsern Jakob Collin nicht wiedererkennen. Wenn er seiner Freilassung sicher ist, wird dieser Mensch die Protokolle unterschreiben. Was Lucien von Rubempré angeht, so lassen Sie ihn noch heute abend in Freiheit setzen, denn er wird schon nichts von dem Verhör sagen, dessen Protokoll unterschlagen wurde. Zumal ich ihm eine Ermahnung zuteil werden lasse. Die Gerichtszeitung wird morgen die sofortige Entlassung dieses jungen Mannes melden. Nun lassen Sie uns sehen, ob die Rechtsprechung unter diesen Maßnahmen leidet. Wenn der Spanier der Sträfling ist, so haben wir tausend Mittel, ihn von neuem zu fassen und ihm den Prozeß zu
Weitere Kostenlose Bücher