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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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machen, denn wir werden uns auf diplomatischem Wege über seinen Lebenswandel in Spanien aufklären; Corentin, der Chef der Gegenpolizei, wird ihn überwachen; auch wir werden ihn übrigens nicht aus den Augen verlieren; behandeln Sie ihn also gut: keinen strengen Gewahrsam mehr. Können wir den Grafen und die Gräfin von Sérizy und Lucien vernichten, und das wegen eines noch obendrein hypothetischen Diebstahls von siebenhundertfünfzigtausend Franken, der zu Luciens Schaden begangen sein muß? Ist es nicht besser, er verliert diese Summe, als daß er seinen Ruf verliert?... Zumal er in seinem Sturz einen Staatsminister, dessen Frau und die Herzogin von Maufrigneuse mitreißt?... Dieser junge Mann ist eine Orange mit einem Fleck, machen Sie sie nicht ganz faul... Das ist die Sache einer halben Stunde. Gehen Sie, wir werden auf Sie warten. Es ist halb vier, Sie werden noch Richter vorfinden; melden Sie uns, ob Sie ein Ablehnungsurteil in aller Form durchsetzen können... Sonst muß Lucien bis morgen früh warten.«
    Camusot grüßte und ging hinaus; aber Frau von Sérizy, die jetzt ihre Brandwunden scharf spürte, gab ihm seinen Gruß nicht zurück. Herr von Sérizy, der plötzlich aus dem Zimmer geeilt war, während der Oberstaatsanwalt mit dem Richter sprach, kehrte mit einem kleinen Gefäß voll reinem Wachs zurück und verband seiner Frau die Hände, indem er ihr ins Ohr flüsterte: »Leontine, wie konnten Sie hierher kommen, ohne mich zu benachrichtigen?« »Lieber Freund,« erwiderte sie flüsternd, »vergeben Sie mir! Ich scheine wahnsinnig zu sein, aber es handelte sich ebensosehr um Sie wie um mich.« »Lieben Sie diesen jungen Mann, wenn das Schicksal es so will, aber zeigen Sie Ihre Leidenschaft nicht jedermann,« sagte der arme Gatte.
    »Nun, liebe Gräfin,« sagte Herr von Granville, nachdem er eine Weile mit dem Grafen Octavius geplaudert hatte, »ich hoffe, Sie werden Herrn von Rubempré heute abend zum Diner mitnehmen können.« Dieses halbe Versprechen übte eine solche Wirkung auf Frau von Sérizy aus, daß sie in Tränen ausbrach. »Ich glaubte keine Tränen mehr zu haben,« sagte sie lächelnd, »Könnten Sie Herrn von Rubempré nicht herkommen lassen?« fügte sie hinzu. »Ich will versuchen, Gerichtsdiener zu finden, um ihn Ihnen zuzuführen, damit er nicht von Gendarmen begleitet wird,« erwiderte Herr von Granville. »Sie sind gut wie Gott!« sagte sie zu Herrn von Granville mit überströmender Empfindung, die ihre Stimme zu einer göttlichen Musik machte. ›Immer‹, sagte der Graf Octavius bei sich selber, ›sind gerade solche Frauen entzückend und unwiderstehlich!...‹ Und ihn überkam, als er an seine Frau dachte, ein Anfall von Melancholie.
    Herr von Granville wurde, als er hinausging, von dem jungen von Chargeboeuf angehalten; er sprach mit ihm und gab ihm seine Anweisungen über das, um was er Massol, einen der Redakteure der Gerichtszeitung, bitten sollte.
    Während sich hübsche Frauen, Minister und Richter verschworen, um Lucien zu retten, ging in der Conciergerie mit ihm folgendes vor. Als er durchs Portal kam, hatte der Dichter in der Kanzlei gesagt, daß Herr Camusot ihm zu schreiben erlaubte, und er bat um Feder, Tinte und Papier; ein Aufseher erhielt, nachdem Camusots Gerichtsdiener dem Direktor ein Wort ins Ohr geflüstert hatte, sofort Befehl, ihm alles zu bringen. Während der kurzen Zeit, die der Aufseher brauchte, um, was er erwartete, zu suchen und zu Lucien hinaufzubringen, versank dieser arme junge Mann, dem der Gedanke an seine Gegenüberstellung mit Jakob Collin unerträglich war, in eine jener verhängnisvollen Betrachtungen, in denen der Gedanke an den Selbstmord, dem er schon einmal verfallen war, ohne ihn ausführen zu können, zur Manie wird. Nach einigen großen Psychiatern ist der Selbstmord bei gewissen Organisationen der Abschluß einer Geisteszerrüttung. Nun hatte Lucien seit seiner Verhaftung eine fixe Idee gehabt. Esthers Brief, den er mehrmals durchlas, steigerte noch die Intensität seines Verlangens nach dem Tode, da sie ihm die Katastrophe ins Gedächtnis rief, in der Romeo Julia folgte. Er schrieb folgendermaßen:
    »Dies ist mein Testament.
     
    In der Conciergerie, den 15. Mai 1830.
    Ich, der Unterzeichnete, schenke und vermache den Kindern meiner Schwester, Eva Chardon, der Gattin David Séchards, die Gesamtheit der beweglichen und unbeweglichen Habe, die mir am Tage meines Todes gehören wird, abzüglich der Zahlungen und Legate, die ich

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