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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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meinen Testamentsvollstrecker zu leisten bitte.
    Ich flehe Herrn von Sérizy an, das Amt der Vollstreckung meines Testaments zu übernehmen.
    Es soll gezahlt werden: 1. an den Herrn Abbé Carlos Herrera die Summe von dreihunderttausend Franken; 2. an den Herrn Baron von Nucingen die Summe von vierzehnhunderttausend Franken, die um siebenhundertfünfzigtausend Franken zu kürzen ist, wenn die bei Fräulein Esther entwendete Summe sich wiederfindet.
    Ich schenke und vermache als Erbe des Fräuleins Esther Gobseck die Summe von siebenhundertsechzigtausend Franken den Pariser Spitälern, und zwar zur Gründung eines Asyles, das eigens für solche öffentlichen Dirnen bestimmt sein soll, die ihre Laufbahn des Lasters und Verderbens verlassen möchten.
    Außerdem hinterlasse ich den Spitälern die Summe, die nötig ist für den Ankauf einer fünfprozentigen Staatsschuldenrente von dreißigtausend Franken. Die jährlichen Zinsen sollen jedes halbe Jahr dazu verwandt werden, um Schuldgefangene in Freiheit zu setzen, deren Schuld sich auf höchstens zweitausend Franken beläuft. Die Spitalverwaltung wird die Auswahl unter den ehrenwertesten der Schuldgefangenen treffen.
    Ich bitte Herrn von Sérizy, die Summe von vierzigtausend Franken für ein Monument zu verwenden, das auf dem östlichen Friedhof für Fräulein Esther zu errichten ist; ich wünsche neben ihr begraben zu werden. Dieses Grab soll die Form der antiken Gräber erhalten; es soll viereckig sein; auf dem Deckel sollen in weißem Marmor unsere beiden Gestalten ruhen, den Kopf auf Kissen, die Hände zum Himmel erhoben. Das Grab soll keine Inschrift tragen.
    Ich bitte den Herrn Grafen von Sérizy, Herrn Eugen von Rastignac als Andenken das goldene Toilettegerät zu überreichen, das sich bei mir befindet.
    Schließlich bitte ich meinen Testamentsvollstrecker, in gleichem Sinne zu erlauben, daß ich ihm meine Bibliothek zum Geschenk mache.
    Lucien Chardon von Rubempré.«
    Dieses Testament wurde eingehüllt in einen Brief an den Grafen von Granville, den Oberstaatsanwalt am Pariser zweitinstanzlichen Gericht, der so lautete:
    »Herr Graf!
    Ich vertraue Ihnen mein Testament an. Wenn Sie diesen Brief entfalten, werde ich nicht mehr sein. In dem Wunsch, mir die Freiheit zurückzugewinnen, habe ich auf die verfänglichen Fragen des Herrn Camusot so feige Antworten gegeben, daß ich, trotz meiner Unschuld, in einen schmählichen Prozeß verwickelt werden kann. Selbst wenn ich annehme, daß ich ohne Makel freigesprochen würde, so wäre mir das Leben bei der Strenge der Gesellschaft doch unerträglich.
    Ich bitte Sie, einliegenden Brief, uneröffnet, dem Abbé Carlos Herrera zu übergeben; und lassen Sie bitte Herrn Camusot den förmlichen Widerruf zukommen, den ich beilege.
    Ich glaube nicht, daß man das Siegel eines Briefes zu erbrechen wagt, der an Sie gerichtet ist. In dieser Zuversicht sage ich Ihnen Lebewohl, indem ich Ihnen zum letztenmal meine Achtung ausspreche und Sie bitte, zu glauben, daß ich Ihnen durch diesen Brief ein Zeichen meines Dankes für all die Güte gebe, mit der Sie Ihren verstorbenen Diener überhäuft hatten.
    Lucien von R.«
    An den Abbé Carlos Herrera
     
    »Mein lieber Abbé! Ich habe von Ihnen nur Wohltaten empfangen, und doch habe ich Sie verraten. Dieser unfreiwillige Undank tötet mich, und wenn Sie diese Zeilen lesen, werde ich nicht mehr am Leben sein. Sie werden mich nicht mehr retten können.
    Sie hatten mir vollauf das Recht gegeben, wenn ich meinen Vorteil dabei fände, Sie zugrunde zu richten, indem ich Sie zu Boden würfe wie einen Zigarrenrest; aber ich habe es dumm angefangen. Um sich aus der Verlegenheit zu ziehen, hat sich der Sohn Ihres Geistes, verlockt durch eine geschickte Frage des Untersuchungsrichters, auf die Seite derer gestellt, die Sie um jeden Preis vernichten wollen, indem sie den Glauben an eine Identität zwischen Ihnen und einem französischen Verbrecher wecken, deren Unmöglichkeit ich kenne. Das erledigt alles.
    Zwischen einem Mann von Ihrer Gewalt und mir, aus dem Sie einen Größeren machen wollten, als ich sein konnte, ist im Augenblick einer letzten Trennung kein Raum für einen Austausch von Nichtigkeiten. Sie wollten mich mächtig und glorreich machen, Sie haben mich in den Abgrund des Selbstmords gestürzt; weiter nichts. Seit langem schon hörte ich die Riesenschwingen des Todes über mir sausen.
    Es gibt den Nachwuchs Kains und den Abels, wie Sie bisweilen sagten. Kain ist im großen Drama der

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