Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Artikels werden Sie selbst machen. Schreiben Sie.« Und er diktierte:
»Es hat sich herausgestellt, daß das Fräulein Esther Gobseck freiwillig in den Tod gegangen ist. – Das sicher nachweisbare Alibi des Herrn Lucien von Rubempré und seine Unschuld lassen seine Verhaftung um so bedauerlicher erscheinen, als der junge Mann in dem Augenblick, in dem der Untersuchungsrichter Befehl gab, ihn zu entlassen, plötzlich verstorben ist.«
»Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen,« sagte der Sekretär zu Massol, »daß Sie über den kleinen Dienst, den man von Ihnen verlangt, die größte Verschwiegenheit bewahren müssen.« »Da Sie mir die Ehre antun, Vertrauen zu mir zu haben,« erwiderte Massol, »so werde ich mir die Freiheit nehmen, Ihnen eine Bemerkung zu machen. Diese Notiz wird schimpfliche Kommentare über die Gerichtsbarkeit zur Folge haben ...« »Die Gerichtsbarkeit ist stark genug, um sie zu ertragen,« versetzte der junge Gehilfe der Staatsanwaltschaft mit dem Stolz eines künftigen Richters aus der Schule des Herrn von Granville. »Erlauben Sie, mein lieber Herr Kollege, mit zwei Sätzen kann man diesem Unglück vorbeugen,« Und der Advokat schrieb:
»Die Formen der Rechtsprechung haben mit diesem schlimmen Ausgang nicht das geringste zu tun. Die Leichenschau, die man auf der Stelle vornahm, ergab, daß der Tod infolge des Aufbruchs einer im letzten Stadium stehenden Pulsadergeschwulst eingetreten ist. Hätte Herrn Lucien von Rubempré seine Verhaftung erschüttert, so wäre der Tod weit früher eingetreten. Nun glauben wir behaupten zu können, daß dieser bedauernswerte junge Mann, statt sich wegen seiner Verhaftung zu bekümmern, vielmehr darüber lachte und zu denen, die ihn von Fontainebleau nach Paris brachten, sagte, sowie er vor den Richter träte, würde seine Unschuld ans Licht kommen.«
»Rettet man damit nicht alles?« fragte der Advokat und Journalist. »Sie haben recht.« »Der Oberstaatsanwalt wird Ihnen morgen dafür Dank wissen,« fuhr Massol mit leisem Sticheln fort.
Vielleicht scheint jetzt weder den Vielen noch auch den wenigen Auserwählten diese Studie mit Esthers und Luciens Tod völlig abgeschlossen; vielleicht interessieren Jakob Collin, Europa und Paccard trotz ihres ehrlosen Daseins genügend, damit man wissen möchte, welches ihr Ende war. Dieser letzte Akt des Dramas kann übrigens das Sittengemälde, das diese Studie einschließt, vervollständigen, und er gibt die Lösung in allerlei noch ungelösten Verwicklungen, in die sich Luciens Leben so merkwürdig verschlungen hatte, indem er ein paar der unedlen Gestalten des Bagnos unter die der höchsten Persönlichkeiten mischt.
So werden, wie man sieht, die größten Ereignisse des Lebens in mehr oder minder wahren Zeitungsnotizen gespiegelt. Ebenso geht es mit vielen weit erhabeneren Dingen, als diese es waren.
Vautrins letzte Verkörperung
Was gibt es, Magdalene?« fragte Frau Camusot, als sie ihr Zimmermädchen mit jener Miene eintreten sah, wie Dienstboten sie in kritischen Augenblicken anzunehmen verstehen. »Gnädige Frau,« erwiderte Magdalene, »der gnädige Herr kommt eben aus dem Palast; aber er macht ein so bestürztes Gesicht und ist in einem solchen Zustand, daß die gnädige Frau vielleicht gut daran tun würde, ihn in seinem Arbeitszimmer aufzusuchen.« »Hat er etwas gesagt?« fragte Frau Camusot. »Nein, gnädige Frau,» aber ein solches Gesicht haben wir beim gnädigen Herrn noch nie gesehen; man könnte meinen, daß eine Krankheit ausbrechen will; er ist gelb, er scheint ganz außer Fassung zu sein, er ...«
Frau Camusot stürzte, ohne das Ende des Satzes abzuwarten, zum Zimmer hinaus und eilte zu ihrem Gatten. Sie sah den Untersuchungsrichter mit von sich gestreckten Beinen in einem Sessel sitzen, den Kopf gegen die Rückenlehne gestützt; seine Hände hingen schlaff herab, sein Gesicht war bleich, die Augen stumpf, und es machte ganz den Eindruck, als wollte er in Ohnmacht fallen.
»Was hast du, mein Freund?« sagte die junge Frau entsetzt. »Ach, meine arme Amelie, es ist das verhängnisvollste Ereignis eingetreten ... Ich zittere noch. Stelle dir vor, daß der Oberstaatsanwalt ... nein, daß Frau von Sérizy ... daß ... Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll ...« »Fange mit dem Ende an! ...« sagte Frau Camusot. »Nun also, in dem Augenblick, als Herr Popinot im Beratungszimmer der Ersten Kammer die letzte nötige Unterschrift unter das Urteil gesetzt hatte, das die Erhebung der Anklage auf
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