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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Grund meines Berichts ablehnte und Lucien von Rubempré in Freiheit setzte ... Kurz, alles war zu Ende, der Kanzlist trug das Konzept schon fort, ich glaubte dieser Angelegenheit ledig zu sein! Da tritt der Gerichtspräsident ein, liest das Urteil durch und sagt mit kühl spöttischer Miene zu mir: ›Sie entlassen einen Toten; ich höre soeben von Herrn von Bonald, daß dieser junge Mann vor seinen höchsten Richter getreten ist. Er ist einem Herzschlag erlegen ... ‹ Ich atmete auf, denn ich glaubte noch an einen Unfall. ›Wenn ich recht verstehe, Herr Präsident,‹ sagte Herr Popinot, ›so wird es sich um den Herzschlag Pichegrus handeln ...‹ ›Meine Herren‹ versetzte der Präsident mit ernster Miene, ›merken Sie sich, für die Außenwelt ist der junge Lucien von Rubempré infolge des Bruchs einer Pulsadergeschwulst gestorben.‹ Wir sahen uns alle an. ›Es sind in diese Angelegenheit‹, sagte der Präsident, ›hohe Persönlichkeiten verwickelt. Gott gebe in Ihrem Interesse, Herr Camusot, obgleich Sie nichts getan haben als Ihre Pflicht, daß Frau von Sérizy nach dem Schlag, den sie erhalten hat, nicht wahnsinnig bleibt! Man trägt sie eben fast tot davon. Ich bin unserm Oberstaatsanwalt in einem Zustand der Verzweiflung begegnet, der mir weh getan hat ... Sie sind auf den unrechten Weg geraten, mein lieber Camusot!‹ fügte er hinzu, indem er mir ins Ohr flüsterte. Nein, meine liebe Freundin, als ich hinauskam, konnte ich kaum gehen. Mir zitterten die Beine so sehr, daß ich mich nicht in die Straße wagte, und ich bin wieder in mein Zimmer gegangen, um mich auszuruhen. Coquart, der die Akten dieser unseligen Untersuchung ordnete, sagte mir, eine schöne Dame habe die Conciergerie gestürmt, sie habe Lucien, in den sie rasend verliebt sei, das Leben retten wollen und sei ohnmächtig geworden, als sie ihn am Fenster der Pistole an seiner Krawatte erhängt sah. Der Gedanke, daß die Art, wie ich diesen unglücklichen jungen Mann, der übrigens – unter uns – vollkommen unschuldig war, verhört habe, ihn zum Selbstmord treiben konnte, verfolgt mich, seit ich den Palast verlassen habe, und ich bin noch immer einer Ohnmacht nahe ...« »Nun, du wirst dich wohl gar für einen Mörder halten, weil sich ein Untersuchungsgefangener in seiner Zelle aufhängte, als du ihn freilassen wolltest? ...« rief Frau Camusot; »aber ein Untersuchungsrichter ist dann wie ein General, dem ein Pferd unterm Leib erschossen wird! ... Das ist alles!« »Solche Vergleiche, meine Liebe, taugen bestenfalls für Scherze, und der Scherz ist hier nicht am Platze, In diesem Falle holt sich der Tote den Lebenden. Lucien nimmt unsere Hoffnungen mit in den Sarg.« »Wirklich?« fragte Frau Camusot mit beißender Ironie. »Ja, meine Laufbahn ist zu Ende. Ich werde mein Leben lang einfacher Richter am Seinetribunal bleiben. Herr von Granville war schon vor diesem verhängnisvollen Ausgang sehr unzufrieden mit der Wendung, die die Untersuchung nahm; daß er aber mit unserm Präsidenten gesprochen hat, beweist mir, daß ich, solange Herr von Granville Oberstaatsanwalt bleibt, niemals avancieren werde.«
    Avancieren! Das ist das furchtbare Wort, das ist der Gedanke, der heutzutage den Richter zum Beamten macht.
    Ehemals war der Richter von vornherein, was er werden konnte. Die drei oder vier Kammerpräsidentschaftsmützen genügten in jedem Parlament dem Ehrgeiz. Das Amt eines Rates genügte einem de Brosses wie einem Molé, zu Dijon wie zu Paris. Dieses Amt, das schon an sich ein Vermögen war, verlangte, um mit Würde getragen zu werden, wiederum ein großes Vermögen. In Paris konnten außerhalb des Parlaments die Leute im Amtskleid nur nach drei höheren Stellungen streben: nach dem der Generalkontrolle, dem Portefeuille oder dem Kanzlertalar. Unterhalb der Parlamente, in der niedrigen Sphäre, war schon ein Präsidialstellvertreter als Persönlichkeit groß genug, um glücklich zu sein, wenn er sein Leben lang auf seinem Sitz verblieb. Man vergleiche die Stellung eines Rates am zweitinstanzlichen Gericht in Paris im Jahre 1829, wo er statt allen Vermögens nur sein Gehalt hat, mit der Stellung eines Rates am Parlament von 1729. Der Unterschied ist groß. Heute, wo das Geld zur allgemeinen sozialen Bürgschaft geworden ist, entbindet man die Richter von der Bedingung, daß sie wie ehedem ein großes Vermögen besitzen; daher muß man es erleben, daß sie zugleich Deputierte, Pairs von Frankreich sind und Amt auf Amt türmen: sie

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