Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Zellen des strengen Gewahrsams gewesen wäre, so hatte ihm dort die Unmöglichkeit, seinen Plan auszuführen, halt geboten; denn diese Kästen aus Quadern haben als Mobiliar nichts als eine Art Feldbett und einen Kübel für die dringendsten Bedürfnisse. Dort findet sich kein Nagel, kein Stuhl, nicht einmal ein Schemel. Das Feldbett ist so fest an den Boden geschraubt, daß es unmöglich ist, es ohne eine Arbeit von der Stelle zu bringen, was dem Aufseher auffallen müßte, denn das vergitterte Guckloch steht stets offen. Schließlich wird der Untersuchungsgefangene, wenn er zu Besorgnissen Anlaß gibt, auch noch von einem Gendarmen oder Agenten überwacht. In den Zimmern der Pistole also und in dem, in das man Lucien gebracht hatte, weil der Richter einem jungen Manne, der der höchsten Pariser Gesellschaft angehörte, Rücksicht erweisen wollte, können das bewegliche Bett, der Tisch und der Stuhl zur Ausführung eines Selbstmordes dienen, ohne ihn freilich darum leicht zumachen. Lucien trug eine lange blauseidene Krawatte; und schon, als er vom Verhör zurückkam, dachte er an die Art, wie Pichegru sich mehr oder minder freiwillig getötet hatte. Um sich jedoch aufzuhängen, galt es, einen Stützpunkt zu finden, der zwischen dem Körper und dem Boden einen Raum freiließ, groß genug, um zu verhindern, daß die Füße einen Ruhepunkt fänden. Nun hatte das Fenster seiner Zelle keinen Drehriegel, und die außen eingemauerten Eisengitter waren von Lucien um die ganze Dicke der Mauern getrennt, so daß er auch in ihnen keinen festen Punkt finden konnte.
Folgendes also ist der Plan, den Lucien rasch seine Erfindungsgabe eingab, um seinen Selbstmord zu vollziehen. Wenn die Blende vor der Fensteröffnung Lucien den Ausblick in den Gefängnishof nahm, so hinderte ebendiese Blende auch die Aufseher, zu sehen, was in seiner Zelle vorging. Nun waren zwar im untern Teil des Fensters die Scheiben ersetzt durch zwei starke Bretter, aber der obere Teil hatte auf jeder Seite zwei kleine Scheiben, die von den umrahmenden Querleisten getrennt und gehalten wurden. Wenn Lucien auf den Tisch stieg, so konnte er den verglasten Teil seines Fensters erreichen, zwei Gläser auslösen oder zerbrechen, und erfand dann in der ersten Querleiste einen festen Stützpunkt. Er wollte seine Krawatte darum schlingen, eine Drehung um sich selbst ausführen, damit sie sich ihm um den Hals legte, und den Tisch mit einem Fußtritt von sich stoßen.
Er stellte also den Tisch geräuschlos unter das Fenster, legte Rock und Weste ab, stieg ohne Zögern auf den Tisch und durchbrach die Scheiben über und unter der ersten Querleiste. Als er auf dem Tisch stand, konnte er den Blick in den Gefängnishof werfen: ein magisches Schauspiel, das er zum erstenmal genoß. Der Direktor der Conciergerie, der von Herrn Camusot den Befehl erhalten hatte, Lucien mit der größten Rücksicht zu behandeln, hatte ihn durch die inneren Gänge der Conciergerie führen lassen, deren Eingang in dem dunkeln Untergeschoß der Tour d'Argent gegenüberliegt; so vermied er es, der Masse der Angeklagten, die auf dem Gefängnishof spazieren gingen, einen eleganten jungen Mann zu zeigen. Man kann sich denken, ob der Anblick dieses Spaziergangs derart ist, daß er eine Dichterseele stark ergreift.
Der Gefängnishof der Conciergerie wird nach dem Kai zu von der Tour d'Argent und der Tour Bonbec begrenzt; der Zwischenraum zwischen ihnen also zeigt von außen genau die Breite des Hofes. Die Galerie, die den Namen des heiligen Ludwig trägt und die von der Händlergalerie zum Kassationshof und zur Tour Bonbec führt, in der sich, wie man sagt, noch heute das Zimmer des heiligen Ludwig befindet, kann den Wißbegierigen das Längenmaß des Hofes angeben, denn sie stimmt in dieser Dimension genau mit ihm überein. Die Geheimzellen und die Pistole liegen also unter der Händlergalerie. Daher wurde die Königin Marie Antoinette, deren Kerker unter den gegenwärtigen Geheimzellen lag, zum Revolutionsgericht, das seine Sitzungen in dem feierlichen Saal des Kassationshofes abhielt, über eine furchtbare Treppe geführt, die in die Dicke der Mauern unter der Händlergalerie eingebrochen worden war und heute vermauert ist. Die eine der Seiten des Gefängnishofes, die, deren erster Stock von der Galerie des heiligen Ludwig ausgefüllt wird, zeigt den Blicken eine Reihe gotischer Säulen, zwischen denen die Baumeister, ich weiß nicht welcher Epoche, zwei Stockwerke von Zellen angebracht haben, um
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