Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
Bauern vor einem Marktschreier aufsetzen. »Wenn die Herzogin von Maufrigneuse und die Gräfin von Sérizy kompromittiert sind, mußt du sie alle beide zu Gönnerinnen haben,« fuhr Amelie fort. »Laß sehen! Frau d'Espard wird dir beim Justizminister eine Audienz verschaffen; du verrätst ihm das Geheimnis, das hier verborgen liegt, und er wird den König damit amüsieren; denn alle Fürsten sehen gern einmal die Rückseite des sozialen Gewebes, um die wirklichen Ursachen der Ereignisse kennen zu lernen, die das Publikum mit offenem Munde vorüberziehen sieht. Dann sind weder der Oberstaatsanwalt noch Herr von Sérizy zu fürchten ...« »Welcher Schatz von einer Frau du bist!« rief der Richter, indem er wieder Mut faßte. »Schließlich habe ich Jakob Collin aufgestöbert; er soll mir vor dem Schwurgericht Rechenschaft ablegen, ich werde seine Verbrechen enthüllen. Ein solcher Prozeß ist ein Sieg in der Laufbahn eines Untersuchungsrichters...« »Camusot,« erwiderte Amelie, als sie sah, wie ihr Mann sich von der moralischen und physischen Niedergeschlagenheit erholte, in die ihn Lucien von Rubemprés Selbstmord geworfen hatte, »der Präsident hat dir eben gesagt, du wärst auf den falschen Weg geraten! ... Du verläufst dich schon wieder, mein Freund!« Der Untersuchungsrichter blieb stehen und sah seine Frau verblüfft an. »Der König und der Justizminister sind vielleicht sehr froh, wenn sie jenes Geheimnis erfahren; und doch ärgern sie sich vielleicht zugleich darüber, wenn sie es erleben müssen, daß die Fürsprecher der liberalen Anschauungen so bedeutende Persönlichkelten wie die Sérizys, die Maufrigneuses und die Grandlieus, kurz alle, die direkt oder indirekt in diesen Prozeß verwickelt sind, vor die Schranken der öffentlichen Meinung und des Schwurgerichts schleppen.« »Sie sind alle hineingelegt! ... Ich habe sie fest!« rief Camusot. Und der Richter stand auf und ging durch sein Zimmer, wie Sganarelle auf dem Theater umhergeht, wenn er aus einer Falle zu entschlüpfen sucht. »Höre, Amelie!« fuhr er fort, indem er sich vor seiner Frau aufstellte, »mir fällt ein Umstand ein, der scheinbar winzig, aber in meiner Lage von ungeheurem Interesse ist, Stelle dir vor, meine liebe Freundin, daß dieser Jakob Collin ein Koloß an List, Verstellung und Verschlagenheit ist... ein Mensch von einer Tiefe... oh, er ist... wie soll ich sagen?... der Cromwell des Bagnos! Einem solchen Verbrecher bin ich noch nicht begegnet, er hat mich fast übertölpelt. Aber bei einer Kriminaluntersuchung hilft ein Fädchen, das vorüberstreicht, einem Knäuel auf die Spur, mit dem man sich durch das Labyrinth der düstersten Gewissen oder der dunkelsten Tatsachen hindurchfindet. Als Jakob Collin sah, daß ich in den Briefen blätterte, die in Lucien von Rubemprés Wohnung beschlagnahmt worden sind, warf der Schlingel einen Blick darauf, als wolle er wissen, ob sich nicht noch ein weiteres Bündel dabei befände, und er ließ sich eine sichtliche Regung der Befriedigung entschlüpfen. Dieser Blick des Diebes, der einen Schatz abschätzt, diese Geste des Gefangenen, der sich sagt: ›Ich habe meine Waffen!‹ machten mir eine Welt von Dingen verständlich. Nur ihr Frauen könnt wie wir Richter und wie die Untersuchungsgefangenen ganze Szenen in einen Blick legen, der Betrügereien enthüllt, kompliziert wie Sicherheitsschlösser. Man empfindet dann, weißt du, in einer Sekunde ganze Bände des Argwohns! Es ist furchtbar, in einem Augenzwinkern liegen Leben und Tod. Der Bursche hat noch andere Briefe in den Händen! sagte ich mir. Dann lenkten mich die tausend andern Einzelheiten der Angelegenheit ab. Ich habe diesen Zwischenfall vernachlässigt, denn ich glaubte, ich würde meinen Gefangenen zu konfrontieren haben und könne diesen Punkt der Untersuchung später aufklären. Aber sehen wir es als sicher an, daß Jakob Collin nach Art dieser Elenden die kompromittierendsten Briefe der Korrespondenz des schönen jungen Mannes an einem sichern Ort versteckt hat.« »Und du zitterst? Camusot, du wirst Präsident der zweitinstanzlichen Kammer, und schneller, als ich glaubte! ...« rief Frau Camusot, deren Gesicht strahlte. »Laß sehen: du mußt dich so verhalten, daß du alle zufriedenstellst, denn die Angelegenheit wird so ernst, daß sie uns ruhig ›gestohlen‹ werden könnte!... Hat man nicht das Verfahren im Entmündigungsprozeß der Frau d'Espard gegen ihren Gatten popinot aus den Händen genommen, um es dir
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