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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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umfangreiche Studie unvollständig und vorzeitig abgebrochen erscheinen müßte, wenn nicht die Entwicklung dieses Verbrecherlebens Lucien von Rubemprés Ende begleitete. Nachdem der kleine Wachtelhund starb, fragt man, ob sein furchtbarer Gefährte, ob der Löwe am Leben bleiben wird!
    Im wirklichen Leben und in der Gesellschaft verketten sich die Tatsachen so verhängnisvoll mit andern Tatsachen, daß sie nicht ohne einander denkbar sind. Das Wasser des Flusses bildet eine Art flüssigen Bodens; es gibt keine Woge, so rebellisch sie auch sei und bis zu welcher Höhe sie sich auch erhebe, deren gewaltige Wassermenge nicht in der Nasse der Gewässer verschwindet, die durch die Geschwindigkeit ihres Stromes kräftiger ist, als die Wirbel, die sie in der Tiefe bildet. Ebenso wie man das Wasser fließen sieht und wirre Bilder darin erblickt, so möchte man vielleicht auch den Druck ermessen können, den die soziale Macht auf diesen Wirbel namens Vautrin ausübte? Man möchte sehen, wo die rebellische Woge wieder im Strom versinkt und wie das Schicksal dieses wahrhaft teuflischen Menschen, dem doch durch die Liebe Menschlichkeit nicht fremd war, endet? Denn das Himmelsprinzip der Menschlichkeit geht selbst in den verdorbensten Herzen so leicht nicht unter.
    Der gemeine Sträfling hatte, indem er so die Dichtung zur Wirklichkeit machte, von der so viele Dichter geträumt haben: Moore, Lord Byron, Mathurin, Canalis – ein Dämon, der einen Engel in seinem Dienst hatte, hatte ihn in seine Hölle gelockt, um ihn mit einem Tau zu erfrischen, der aus dem Paradies geraubt war –, wenn man dieses eherne Herz recht begriffen hat, seit sieben Jahren sich selber entsagt. Seine gewaltigen Kräfte, die sich in Lucien erschöpften, spielten nur noch für Lucien; er freute sich seiner Fortschritte, seiner Liebeshändel, seines Ehrgeizes. Für ihn war Lucien seine sichtbar gewordene Seele. Betrüg-den-Tod dinierte durch einen Stellvertreter bei den Grandlieus, er schlich in die Boudoirs der großen Damen, er liebte Esther, Kurz, er sah in Lucien einen schönen, jungen, vornehmen Jakob Collin, der nach der Stellung eines Gesandten griff.
    Betrüg-den-Tod hatte den deutschen Aberglauben vom Doppelgänger verwirklicht, und zwar vermöge einer Art moralischer Vaterschaft, wie sie Frauen verstehen werden, die in ihrem Leben einmal wirklich geliebt haben; sie haben gefühlt, wie ihre Seele ln die des Geliebten überströmte, sie haben sein Leben gelebt, sei es nun edel oder ehrlos gewesen, glücklich oder unglücklich, ruhmlos oder glorreich,» trotz der Trennung haben sie Schmerzen in ihrem Bein gespürt, wenn er sich an dem seinen eine Wunde zuzog; sie haben gefühlt, daß er sich im Duell schlug, und um alles in einem Wort zu sagen, so brauchten sie nicht erst von einer Untreue zu hören, um ihrer gewiß zu sein.
    Als Jakob Collin in seine Zelle zurückgeführt wurde, sagte er sich: ›Man verhört den Kleinen!‹ Und ihn schauderte; er, der tötete, wie ein Arbeiter trinkt. ›Hat er seine Geliebten sehen können?‹ fragte er sich. ›Hat meine Tante diese verdammten Weibchen finden können? Haben sich diese Herzoginnen, diese Gräfinnen aufjagen lassen, und haben sie das Verhör verhindert?... Hat Lucien meine Anweisungen erhalten? ... Und wenn das Verhängnis will, daß er verhört wird, wie wird er sich halten? ... Der arme Kleine, ich habe ihn dahin gebracht! Dieser Räuber Paccard und dieser Marder Europa sind schuld an dem ganzen Krakeel, weil sie die siebenhundertfünfzigtausend Franken gestohlen haben, die Nucingen Esther gegeben hatte. Diese beiden Schelme haben uns beim letzten Schritt zum Straucheln gebracht; aber sie sollen mir den Possen teuer bezahlen! Noch ein Tag, und Lucien war reich! Er hätte seine Klotilde von Grandlieu geheiratet. Ich hätte Esther nicht mehr auf dem Hals gehabt. Lucien liebte dieses Mädchen zu sehr, während er diese Rettungsplanke, diese Klotilde, niemals geliebt hätte ... Ah, dann hätte der Kleine ganz mir gehört! Und wenn man bedenkt, daß unser Schicksal von einem Blick, von einem Erröten Luciens vor diesem Camusot abhängt, der alles sieht, dem es nicht an der Schlauheit der Richter fehlt! Denn als er mir die Briefe zeigte, haben wir einen Blick gewechselt, in dem wir uns gegenseitig sondierten, und er hat erraten, daß ich Luciens Geliebte kirre machen kann!‹
    Dieser Monolog dauerte drei Stunden. Die Angst war so groß, daß sie diese Konstitution aus Eisen und Vitriol besiegte:

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