Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)
aller Kraft das Handgelenk zu drücken, da bat ich in dem Augenblick, als mir das Blut aus den Fingerspitzen spritzen wollte, um Einhalt, Da! Sehen Sie sich das Armband an, das ich länger als drei Monate tragen werde,« »Teufel!« sagte Herr Gault, indem er den blutunterlaufenen Ring ansah, der dem einer Brandstelle glich. »Mein lieber Gault, hätte man mir das Fleisch in einen Eisenring gelegt, den ein Schlosser mit Hilfe einer Schraube verengt hätte, ich hätte dieses metallene Armband nicht so schmerzhaft gefühlt wie die Finger dieser Frau; ihr Griff war wie aus unbiegsamem Stahl, und ich bin überzeugt, daß sie mir hätte die Knochen zerdrücken und die Hand vom Arm trennen können. Dieser Druck, der erst unmerklich begann, steigerte sich unablässig, indem immer ein neuer Druck den alten verstärkte; kurz, eine Presse hätte sich nicht besser benehmen können als diese Hand, die in ein Folterwerkzeug verwandelt war. Es scheint mir also bewiesen, daß der Mensch unter der Herrschaft der Leidenschaft, die den auf einen Punkt gesammelten und zu einer unberechenbaren Gewalt der lebendigen Kraft gesteigerten Willen bedeutet, wie es übrigens bei allen Arten der elektrischen Kraft ist, seine ganze vitale Kraft, sei es zum Angriff, sei es zum Widerstand, in das eine oder andere seiner Organe legen kann... Diese kleine Dame hatte unter dem Druck ihrer Verzweiflung ihre vitale Kraft in die Hände gejagt.«
»Es gehört verteufelt viel Kraft dazu, um eine schmiedeeiserne Stange zu zerbrechen ...« sagte der Oberaufseher mit nickendem Kopfe. »Es war eine brüchige Stelle vorhanden,« bemerkte Herr Gault. »Ich«, fuhr der Arzt fort, »wage der Nervenkraft keine Grenzen mehr anzuweisen. Es ist übrigens bei den Müttern ebenso; um ihr Kind zu retten, magnetisieren sie Löwen, sie laufen auf Gesimsen, wo sich kaum Katzen halten könnten, in ein brennendes Haus, und ertragen die Qualen mancher Entbindungen. Da liegt auch das Geheimnis der Attentate, durch die manche Gefangene und Sträflinge ihre Freiheit zurückgewinnen wollen. Man kennt die Tragweite der vitalen Kräfte noch nicht, sie hängen mit den Naturkräften selbst zusammen, und wir schöpfen sie aus unbekannten Reservoiren.«
»Herr Direktor,« sagte ein Aufseher zu Herrn Gault, der den Doktor Lebrun bis zum äußern Gitter der Conciergerie begleitet hatte, ganz leise ins Ohr, »Nummer zwei der Einzelhaft meldet sich krank und verlangt nach dem Arzt, er behauptet, er liege im Sterben.« »Wirklich?« sagte der Direktor. »Er röchelt!« erwiderte der Aufseher. »Es ist fünf Uhr,« sagte der Doktor, »ich habe noch nicht gegessen ... Aber schließlich, ich bin einmal da; wir wollen mal sehen, vorwärts ...« »Nummer zwei der Einzelhaft ist eben jener spanische Priester, den man für Jakob Collin hält,« sagte Herr Gault zu dem Arzt, »und der eine der Untersuchungsgefangenen in dem Prozeß, in den dieser arme junge Mensch verwickelt war...« »Ich habe ihn heute morgen schon gesehen,« sagte der Doktor; »Herr Camusot ließ mich rufen, um den Gesundheitszustand dieses Burschen festzustellen; es geht ihm, unter uns, ausgezeichnet, und er würde reich werden, wenn er in Jahrmarktstruppen als Herkules posieren wollte.« »Er will vielleicht auch Selbstmord begehen,« sagte Herr Gault. »Lassen Sie uns zusammen in die Geheimzelle gehen, ich muß ihn ohnehin aufsuchen, wäre es auch nur, um ihn in die Pistole zu bringen. Herr Camusot hat den strengen Gewahrsam für diesen merkwürdigen Anonymus aufgehoben ...«
Jakob Collin, in der Welt der Bagnos Betrüg-den-Tod genannt, der Mann, dem wir jetzt keinen andern Namen mehr geben dürfen als den, der ihm zukam, befand sich seit dem Augenblick, in dem er auf Camusots Befehl in seine Einzelzelle zurückgeführt worden war, in einer angstvollen Erregung, wie er sie während seines ganzen Lebens noch nicht kennen gelernt hatte, obwohl es durch so viel Verbrechen, durch drei Ausbrüche aus dem Bagno und zwei Verurteilungen vor dem Schwurgericht gekennzeichnet war. Ist dieser Mensch, in dem das Leben, die Kraft, der Geist und die Leidenschaften des Bagnos zusammengefaßt sind und der seinen höchsten Ausdruck bedeutet, nicht unheimlich schön vermöge seiner des Hundes würdigen Anhänglichkeit für den, den er zu seinem Freund erkoren hatte? Verdammungswürdig, ehrlos und grauenhaft durch so viele Eigenschaften? Aber diese absolute Hingebung an sein Idol macht ihn so wahrhaft interessant, daß diese bereits so
Weitere Kostenlose Bücher