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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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dicken Mauern umrahmt wird, zur Zeit des Umbaues der Conciergerie für diesen unheimlichen Grabesdienst bestimmte. Jeder Ausbruch ist dort unmöglich. Der Gang, der zu den Geheimzellen und zur Frauenabteilung führt, mündet dem Ofen gegenüber, den stets Gendarmen und Aufseher umstehen. Der Kellerhals, der einzige Ausgang, liegt neun Fuß unterhalb der Fliesen und führt auf den ersten Hof, der an der Außentür der Conciergerie von postenstehenden Gendarmen bewacht wird. Keine menschliche Kraft vermag etwas wider die Mauern, übrigens trägt ein zum Tode Verurteilter stets die Zwangsjacke, ein Kleidungsstück, das, wie man weiß, den Gebrauch der Hände ausschließt; ferner ist er mit einem Fuß an sein Feldbett gekettet, und schließlich hat er zu seiner Bedienung und Bewachung einen ›Hammel‹. Der Boden dieser Kammer ist mit dicken Steinen gepflastert, und das Licht ist so schwach, daß man kaum sehen kann.
    Auch der Unempfindlichste muß bis in die Knochen hinein eine Kälte spüren, wenn er dort eintritt; selbst heute noch, obgleich dieses Zimmer seit sechzehn Jahren unbenutzt geblieben ist, weil man in Paris allerlei Änderungen in die Vollstreckung der Wahlsprüche der Gerichtsbarkeit eingeführt hat. Man sehe dort den Verbrecher bedrängt von seinen Gewissensbissen, vom Schweigen und der Finsternis, zwei Quellen des Grauens, und man wird sich fragen, ob es ihn nicht wahnsinnig machen muß! Was für Konstitutionen müssen das sein, deren Kraft einem solchen Leben widersteht, zumal die Zwangsjacke auch noch Reglosigkeit und Muße erzwingt.
    Theodor Calvi, dieser damals siebenundzwanzig Jahre alte Korse, widerstand jedoch, eingehüllt in den Schleier absoluter Verschwiegenheit, seit zwei Monaten der Wirkung dieses Kerkers und dem verfänglichen Schwatzen des ›Hammels‹ ... Der sonderbare Prozeß, dem der Korse seine Verurteilung zum Tode verdankte, war der folgende. Obgleich er sehr merkwürdig war, wird die Analyse schnell gegeben sein.
    Es ist nicht angebracht, in der Katastrophe einer schon ohnehin sehr umfangreichen Szene eine lange Abschweifung zu machen, zumal sie kein anderes Interesse bietet als jenes, das sich auf Jakob Collin bezieht, auf diese Wirbelsäule, die gewissermaßen ›Vater Goriot‹ mit den ›Verlorenen Illusionen‹ und die ›Verlorenen Illusionen‹ mit dieser Studie verbindet. Die Phantasie des Lesers wird übrigens dieses dunkle Thema weiterspinnen, das den Geschwornen des Gerichtshofes, vor dem Theodor Calvi erschienen war, eben jetzt große Sorgen machte. Daher beschäftigte sich denn auch seit acht Tagen, seit die Berufung des Angeklagten vom Kassationshof verworfen war, Herr von Granville mit dieser Angelegenheit, und von Tag zu Tag schob er den Befehl zur Hinrichtung hinaus, so viel lag ihm daran, die Geschwornen zu beruhigen, indem er eine Notiz veröffentlichte, daß der Verurteilte auf der Schwelle des Todes sein Verbrechen eingestanden hätte.
    Eine arme Witwe aus Nanterre, deren Haus einsam in dieser Gemeinde stand, die, wie man weiß, mitten in der unfruchtbaren Ebene zwischen dem Mont Valérien, Saint-Germain und den Hügeln von Sartrouville und Argenteuil liegt, war ermordet und beraubt worden, nachdem sie einige Tage zuvor ihren Anteil an einer unverhofften Erbschaft erhalten hatte. Dieser Anteil belief sich auf dreitausend Franken, ein Dutzend Tischgedecke, eine Uhrkette, eine goldene Uhr und Wäsche. Statt die dreitausend Franken in Paris anzulegen, wie es ihr der Notar des verstorbenen Weinhändlers, den sie beerbte, geraten hatte, wollte die alte Frau alles bei sich behalten. Zunächst hatte sie niemals so viel Geld in Händen gehabt, und dann mißtraute sie in allen Geschäften jedermann, wie es im Landvolk die meisten Leute tun. Nach reiflichen Besprechungen mit einem Weinhändler in Nanterre, der mit ihr verwandt und auch mit dem verstorbenen Weinhändler verwandt gewesen war, hatte diese Witwe sich entschlossen, das Geld auf Leibrenten auszuleihen, ihr Haus in Nanterre zu verkaufen und als Rentnerin nach Saint-Germain zu ziehen.
    Das Haus, in dem sie wohnte und das von einem ziemlich großen Garten umgeben war, den ein schlechter Lattenzaun einschloß, glich den scheußlichen Hütten, die sich die kleinen Bauern in der Umgebung von Paris bauen. Mörtel und Bausteine, die in Nanterre, dessen Gebiet übersät ist mit unter freiem Himmel abgebauten Steinbrüchen, wie man sie ziemlich häufig in der Umgegend von Paris zu sehen bekommt, reichlich vorhanden

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