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Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition)

Titel: Glanz und Elend der Kurtisanen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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war.
    Der berühmte Bankier nahm seinen Tee und nagte als ein Mensch, dessen Zähne seit langem nicht mehr vom Appetit geschärft wurden, an ein paar Butterbroten, als er an der kleinen Pforte seines Gartens einen Wagen halten horte. Bald führte ihm sein Sekretär Contenson vor, den er erst in einem Café in der Nähe von Sainte-Pélagie hatte auffinden können, wo der Agent von dem Trinkgeld frühstückte, das ihm ein Schuldner gegeben hatte, weil er ihn unter gewissen Rücksichten, für die man bezahlt, ins Gefängnis brachte. Nun muß man wissen, daß Contenson ein ganzes Gedicht war, ein Pariser Gedicht. Bei seinem Anblick hätte man auf den ersten Blick erraten, daß Beaumarchais' Figaro, Molieres Mascarillo, Marivaux' Frontins und Dancourts Lafleurs, jene großen Verkörperungen der verwegenen Schelmerei, mittelmäßig sind im Vergleich mit diesem Koloß des Geistes und des Elends. Wenn man in Paris einem Typus begegnet, so ist er kein Mensch mehr: er ist ein Schauspiel! Er ist nicht mehr ein Augenblick aus dem Leben, sondern ein Dasein, ein mehrfaches Dasein! Man brenne in einem Ofen eine Gipsbüste dreimal, und man erhält eine Art Bastardabbild florentinischer Bronze; nun, das Feuer unzähligen Unglücks, die Zwangslagen grauenhafter Situationen hatten Contensons Kopf bronziert, als hätte der Brodem eines Backofens dreimal auf sein Gesicht gewirkt. Die sehr tiefen Runzeln ließen sich nicht mehr glätten, sie bildeten ewige Falten, die im Innern weiß waren; das gelbe Gesicht bestand nur aus Runzeln. Der Schädel hatte gleich dem Voltaires die Empfindungslosigkeit eines Totenkopfes, und ohne die wenigen Haare ganz hinten, hätte man daran gezweifelt, daß es der eines lebenden Menschen wäre. Unter einer regungslosen Stirn bewegten sich, ohne irgend etwas auszudrücken, Augen wie die der Chinesen, die man unter Glas an den Toren eines Teemagazins ausstellt, künstliche Augen, die das Leben nur spiegeln und deren Ausdruck sich niemals wandelt. Die Nase, stumpf wie die des Todes, verhöhnte das Schicksal; und der Mund, der dünn war wie der eines Geizhalses, stand immer offen und war trotzdem verschwiegen wie der Spalt eines Briefkastens. Contenson war ruhig wie ein Wilder, seine Hände waren braun; und so hatte dieser kleine und magere Mann jene vollkommen unbekümmerte Diogeneshaltung, die sich niemals den Formen der Achtung beugen kann. Und welche Kommentare über sein Leben und seine Sitten standen nicht für jeden, der ein Kostüm zu entziffern versteht, in seiner Kleidung geschrieben! ... Was für eine Hose vor allem! ... Eine Büttelhose, schwarz und glänzend wie der sogenannte ›Voile‹-Stoff, aus dem die Advokatenroben sind! Eine auf dem Trödelmarkt gekaufte Weste, aber eine Schalweste, und bestickt! ... Ein Rock von rotem Schwarz! ... Und all das gebürstet, fast sauber, geschmückt mit einer Uhr, die an einer Talmikette hing. Ein gefaltetes Hemd aus gelbem Perkal stand hervor, auf dem eine Nadel mit einem falschen Diamanten glänzte. Der Samtkragen glich einem Halseisen, und die roten Fleischfalten eines Karaiben hingen darüberhin. Der seidene Hut glänzte wie Satin, aber das Futter hätte zwei Lämpchen gespeist, wenn ein Krämer es gekauft hätte, um es auskochen zu lassen. Es ist nichts, wenn man diese Bestandteile nur aufzählt; man müßte schildern können, welche Bedeutung Contenson ihnen zu verleihen wußte. In dem Kragen des Rockes, in den frisch geputzten Stiefeln mit den klaffenden Sohlen lag jenes kokette Etwas, das kein französischer Ausdruck wiederzugeben vermag. Kurz, um diese Mischung so verschiedener Töne halbwegs klarzumachen, will ich sagen, daß ein Mann von Geist bei Contensons Anblick dieses eine begriffen hätte: wäre er statt eines Spitzels Dieb gewesen, so wäre man vor all diesen Lumpen, statt ein Lächeln auf den Lippen zu haben, vor Grauen erschaudert. Nach dem Kostüm hätte ein Beobachter sich gesagt: ›Das ist ein heimtückischer Mensch, er spielt, er trinkt, er hat Laster, aber er berauscht sich nicht, und er betrügt nicht; er ist weder Dieb noch Meuchelmörder.‹ Und Contenson blieb wirklich undefinierbar, bis einem das Wort Spion in den Sinn kam. Dieser Mann hatte so viele unbekannte Berufe ausgeübt, wie es ihrer bekannte gibt. Das schlaue Lächeln seiner blassen Lippen, das Zwinkern seiner grünlichen Augen, die kleine Grimasse seiner Stumpfnase verrieten, daß es ihm nicht an Geist fehlte. Er hatte ein Gesicht aus Weißblech, und die Seele mußte dem

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