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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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flaues Gefühl im Magen und landete hart auf der Steinfläche. Ich stand auf und stöhnte vor Schmerz. Ich hatte mir beim Aufprall den Knöchel verstaucht.
    Verwirrt sah ich wieder in den Himmel. Irgendwie hatte ich es geschafft, mich in die Luft zu erheben. Ich hob die Arme und versuchte, noch einmal zu schweben, aber ich hatte keine Ahnung, wie das ging. Ein paar Mal flatterte ich hilflos mit den Armen, ohne jeden Effekt.
    Ich fühlte mich an Szenen aus Zeichentrickfilmen erinnert, in denen die Figuren über einem Abgrund eine Weile in der Luft laufen, bis sie nach unten sehen und realisieren, dass nichts mehr da ist, das sie trägt, und erst in diesem Moment abstürzen.
    Im Kampf mit dem Zyklopen war es ähnlich gewesen: Ich hatte nicht darüber nachgedacht, was ich tat. Da war nur diese ungeheure Wut gewesen, und die Angst um Eric. Ich hatte den Arm ausgestreckt, und es war einfach passiert. |337| Offenbar funktionierten meine magischen oder göttlichen Fähigkeiten nur unbewusst.
    Vielleicht war das der Schlüssel dazu, eine Göttin zu werden: Möglicherweise musste ich aufhören, zu denken, und anfangen, zu
wollen
.
    Die Dinge sind nicht so, wie sie erscheinen. Mir wurde plötzlich klar, was das bedeutete: Diese Welt war nicht real. Die physikalischen Gesetze, die ich kannte, galten hier nur so lange, wie man sich an sie hielt.
    Ich schloss die Augen, breitete die Arme aus und wünschte mir, über der Ebene zu schweben, leicht und frei wie ein Vogel.
    Als ich die Lider öffnete, befand ich mich in großer Höhe. Das riesige Marmorportal lag tief unter mir. Eric war nur noch als winziger schwarzer Punkt auf der blaugrau leuchtenden Marmorfläche zu erkennen. Ich kämpfte die Urangst nieder, die mich bei diesem Anblick befiel, und bald durchströmte mich ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Ich konnte fliegen! Welcher Mensch träumt nicht davon? Auch wenn ich wusste, dass dies nur eine Phantasiewelt war, fühlte es sich verdammt gut an.
    Ich streckte die Arme nach vorn und schoss hinab wie Superman. Ich jauchzte vor Vergnügen und umrundete das große Portal in engen Kreisen, bis mir schwindlig wurde. Eric sah mir mit offenem Mund nach.
    Ich gönnte mir diesen Moment der Ausgelassenheit. Dann besann ich mich auf meine Aufgabe. Ich flog in einer Höhe von gut hundert Metern über die Ebene. Ich stellte fest, dass ich meine Geschwindigkeit beliebig steigern konnte, bis ich so schnell war, dass die Ebene unter mir nur noch als verwaschener Streifen vorbeiraste. Ich musste die Schallmauer längst durchbrochen haben, doch von dem berühmten Überschallknall bemerkte ich nichts. 
    |338| Ich stieg höher und höher, doch was ich sah, ließ mein Herz sinken. Die Ebene der Tore war nicht einfach nur groß. Sie war unendlich. Sie erstreckte sich unter mir in alle Richtungen. Ich war bereits so hoch, dass ich deutlich die Krümmung des Horizonts sehen konnte und ein goldener Streifen in der Ferne den heraufziehenden Tag ankündigte. Dennoch war kein Ende der Ebene zu erkennen. Vermutlich umhüllte sie die ganze Welt. Die Aufgabe, hier ein bestimmtes Tor zu finden, glich dem Versuch, an der Küste Floridas ein einzelnes Sandkorn zu identifizieren.
    Ich merkte, dass ich mich bereits sehr weit von meinem Ausgangspunkt entfernt hatte – Hunderte Kilometer vermutlich. Und ich hatte nicht auf die Richtung geachtet, in die ich flog. Doch ich hatte keine Angst, meinen Sohn erneut zu verlieren. Ich musste ja nur zu Eric zurückkehren
wollen
.
    Kurz darauf stand ich wieder auf dem weißen Marmorportal.
    »Willst du immer noch behaupten, keine Göttin zu sein?«, fragte der alte Mann, der mein Sohn war.
    Ich schüttelte den Kopf. »Danke, dass du mir die Augen geöffnet hast.«
    »Und was wirst du jetzt tun?«
    »Ich werde Hades einen Strich durch die Rechnung machen!«
    Ich schloss die Augen und versuchte, Zorn heraufzubeschwören. Das war nicht besonders schwierig. Ich musste nur an den brennenden Mann denken, an sein heiseres Lachen, als er gesagt hatte: »Es ist ganz in der Nähe. Ihr müsst nur durch die Tür hinter mir gehen, dann habt ihr es fast erreicht.«
    Zuerst hörte ich ein fernes Donnergrollen. Ein leichter, kühler Wind zerzauste mein Haar. Gut so! Ich schürte das |339| Feuer der Wut in meinem Bauch. Schluss mit dem Herumirren. Weg mit den falschen Toren! Ich hasste sie. Ich wollte sie mit göttlicher Macht von dieser Ebene fegen, bis nur noch das eine Tor übrigblieb – das wahre Tor des Lichts.
    Der Wind wurde

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