Glanz
heftiger. »Göttliche Mutter, was tust du?«, fragte Eric. In seiner brüchigen Stimme hörte ich Angst.
Ich öffnete die Augen. Der Himmel war jetzt pechschwarz. Blitze zuckten um uns herum und tauchten die Ebene in gespenstisches blasses Licht. Gewaltige Wolken hatten sich um uns aufgetürmt. Der Sand der Ebene wirbelte durch die Luft und griff mit messerscharfen Krallen nach uns.
Es gab ein ohrenbetäubendes Krachen, als ein Blitz in das weiße Marmorportal einschlug. Ein Teil des Rahmens brach auseinander. Marmorblöcke von der Größe eines Kleinwagens krachten herab.
»Weg hier!«, brüllte ich. Meinen schmerzenden Knöchel ignorierend, kletterte ich mit Eric die Stufen des Portals hinab, während die Intensität des Sturms weiter zunahm. Aus dem gelegentlichen Donnern war jetzt ein einziges ohrenbetäubendes Stakkato geworden, und die Blitze kamen in solcher Frequenz, dass sie einem unregelmäßigen Stroboskoplicht glichen, das unsere Bewegungen abgehackt erscheinen ließ.
Wir sprangen von der untersten Stufe und kauerten uns auf den Boden. Steine prasselten um uns herum in den Sand, doch wir wurden nicht getroffen. Der Sturm war zu einem Brüllen geworden, das dem eines sterbenden Riesen glich. Einen Moment glaubte ich, in dem Tosen Erics Schmerzensschreie zu vernehmen. Ich bekam plötzlich Angst vor der enormen Gewalt, die ich entfesselt hatte. |340| Ich wollte, dass es aufhörte, doch der Sturm ließ sich nicht mehr stoppen. Die Welt war nur noch ein einziger grell leuchtender Wirbel.
Nach einer Zeit, die mir wie Stunden vorkam, ließ das Tosen allmählich nach, bis nur noch Stille herrschte. Ich hatte plötzlich das beklemmende Gefühl, in einen Abgrund zu fallen. Ich öffnete die Augen, die ich zum Schutz vor dem Sand fest geschlossen hatte.
Ich sah nichts.
Nein, das stimmte nicht. Ich konnte meine Hand sehen, die ich vors Gesicht hielt, und wenn ich den Kopf drehte, sah ich Eric, der mich angstvoll anstarrte. Er schwebte in der Schwärze, Arme und Beine ausgebreitet wie ein Fallschirmspringer, doch es war kein Luftzug da, der seine weißen Haare bewegt hätte.
»Was … was hast du getan, göttliche Mutter?«
Gute Frage. Von der Ebene der Tore war nichts mehr übrig. Mein entfesselter Zorn hatte sie buchstäblich weggefegt. Nicht ein einziges Sandkorn konnte ich mehr entdecken. Vorbei war es mit Erics fein gesponnener Phantasiewelt. Nur noch er selbst und ich waren übrig.
Von einem Tor des Lichts war keine Spur zu entdecken. Verzweiflung überkam mich, als ich begriff, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Einen schrecklichen Fehler.
In meiner Arroganz, in meinem Größenwahn hatte ich geglaubt, das Problem mit Gewalt lösen zu können. Doch selbst als griechische Göttin war ich nicht allmächtig. Ich hatte buchstäblich alles zunichtegemacht.
Tränen schossen mir in die Augen, doch sie liefen nicht an meinen Wangen herab, sondern schwebten als winzige zitternde Kügelchen vor meinem Gesicht, glitzernd wie Silberperlen.
Wieso glitzerten die Tropfen, fragte ich mich. Wieso |341| konnte ich überhaupt etwas sehen, wo ich doch nur von Dunkelheit umgeben war? Ich wandte den Kopf, konnte jedoch nur aus dem Augenwinkel ein Leuchten sehen. Ich strampelte eine Weile mit den Armen, bis es mir gelang, meinen schwerelosen Körper in eine langsame Rotation zu versetzen.
Als ich mich halb um meine Achse gedreht hatte, sah ich die Lichtquelle. Es war ein Rechteck aus dünnen, gleißend hellen Linien. Es sah winzig aus, aber ich konnte in dieser unwirklichen Umgebung keine Distanz abschätzen – vielleicht war es Milliarden Kilometer entfernt und so groß wie die Sonne.
Das Tor des Lichts.
Diesmal musste ich mich nicht anstrengen, um Sehnsucht danach zu entwickeln. Die Aussicht, dieser schrecklichen dunklen Leere zu entkommen, war so verlockend, dass ich ganz von selbst darauf zuzuschweben begann.
Ich wandte den Kopf. Eric hatte sich ebenfalls umgedreht und sah mir nach. Im Unterschied zu mir blieb er auf der Stelle, so dass ich mich rasch von ihm entfernte.
Ich streckte die Hand aus und zog ihn zu mir, ohne ihn zu berühren. Als er mich erreichte, umfasste ich seine dünnen Schultern. Gemeinsam glitten wir schwerelos auf das helle Rechteck zu, das langsam größer wurde. Ich erkannte, dass es sich um eine ganz gewöhnliche, schmucklose Tür handelte – eine Tür am Ende eines langen dunklen Korridors. Jetzt konnte ich auch die metallenen Ziffern erkennen, die auf der Tür angebracht waren. Sie
Weitere Kostenlose Bücher