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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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diese Zeit zum Glück leer war.
    Ich schleppte das Schlauchboot ans Seeufer und breitete es im Schutz eines Gebüschs aus. Als ich es im Halbdunkel dort liegen sah, wurde mir klar, dass es vielleicht klüger gewesen wäre, eines zu kaufen, das nicht ausgerechnet kanarienvogelgelb war. Im Mondlicht würde ich von jedem Punkt des Seeufers aus gut zu sehen sein. Aber das war nun nicht mehr zu ändern.
    Ich hatte die teuerste Luftpumpe gekauft, die das Geschäft im Angebot gehabt hatte. Trotzdem dauerte es ziemlich lange, das Boot startklar zu machen.
    Als ich fast fertig war, hörte ich lautes Kläffen. Ein großer Hund stand auf dem Spazierweg, ein paar Meter entfernt. Zum Glück war er an der Leine.
    »Aus!«, rief der Besitzer, ein stämmiger Mann mit schütterem Haar. »Was hast du denn?«
    |363| Ich versuchte, mich in das Gebüsch zu ducken, aber es war zu spät. Der Mann hatte mich bemerkt. »He, Sie, was machen Sie denn da?«
    Ich trat vor. Obwohl meine Knie zitterten, versuchte ich meine Stimme sorglos und gut gelaunt klingen zu lassen. »Ein Schlauchboot aufpumpen.«
    Im Mondlicht war deutlich zu erkennen, wie der Mann seine hohe Stirn runzelte. »Um diese Zeit?«
    »Warum nicht? Sie gehen doch auch jetzt spazieren, oder?«
    »Sie wollen aber doch wohl nicht angeln? Angeln ist hier ohne Sondergenehmigung verboten!«
    Ich improvisierte. »Angeln? Nein. Das würden mir die Wasserelfen ganz schön übelnehmen. Der Mond steht heute genau in Opposition zur Venus. Da hat sein Licht eine ganz besondere magische Kraft! Haben Sie schon mal Wasserelfen beim Tanzen zugeschaut?«
    Der Mann sah mich einen Moment an, schüttelte dann den Kopf und ging weiter. Ein weiterer Zeuge, der im Zweifel bestätigen würde, dass ich nicht ganz richtig im Kopf war.
    Ich setzte das Aufpumpen fort, schob endlich das Boot ins Wasser und stieg hinein.
    Ich fühlte mich von tausend Augen beobachtet, als ich im hellen Mondlicht auf den See hinausruderte. Zum Glück war es nicht weit bis zum Gelände der Klinik.
    Der größte Teil des Gartens bestand aus Rasenflächen, und direkt am Seeufer gab es nur wenige Büsche. Einen davon nutzte ich als Sichtschutz, verknotete das Boot an einem seiner Äste und kroch an Land. Mehrere Kameras an den Grundstücksgrenzen schienen mich in ihrem Blickfeld zu haben. Ich konnte nur hoffen, dass derjenige, der sie überwachte, nicht besonders aufmerksam war.
    |364| Ich huschte über den Rasen, wobei ich versuchte, den Sichtschutz von Büschen und Bäumen auszunutzen. Nach einem kurzen Sprint erreichte ich die Seite des Klinikgebäudes. Ich spürte meinen Herzschlag im Mund, aber es gab keine Anzeichen, dass mich jemand gesehen hatte.
    Ich schlich zu der Tür, durch die Emily und ich vor kurzem noch den Park betreten hatten.
    Sie war verschlossen.
    Verdammt! War ich so weit gekommen, um mich durch eine blöde Seitentür aufhalten zu lassen? Aber ich hatte keine Möglichkeit, sie geräuschlos zu öffnen.
    Ich blickte an der Gebäudefront entlang. Eines der Fenster im Erdgeschoss schien angelehnt zu sein. Ich sah mich im Park um. Dabei fiel mein Blick auf einen großen Baum, in dessen Sichtschutz ich mich eben noch verborgen hatte. Auf einem der Äste glaubte ich einen schwarzen Schatten zu sehen – einen Vogel, der mich mit kalten, im Mondlicht glitzernden Augen ansah.
    Ich zuckte zusammen. Mein Blick glitt über die Baumkrone, und mir war, als säßen in den tiefen Schatten der Blätter Dutzende, nein Hunderte Vögel und musterten mich aufmerksam wie das Publikum einer Theaterpremiere.
    Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Ich durfte mich von solchen Trugbildern nicht aus der Fassung bringen lassen. In dem Baum war gar nichts!
    Ich vermied es, noch einmal dorthin zu sehen, und konzentrierte mich wieder auf meine Aufgabe. Ich schlich zu dem Zimmer mit dem angelehnten Fenster und spähte hinein. Eine ältere Frau lag im Bett und starrte mit offenen Augen an die Decke. Ich hatte Glück – das Fenster ließ sich lautlos aufdrücken.
    Ich kletterte hinein, ließ mich vom Sims herab und zog |365| das Fenster wieder zu. Der Geruch von Sterilisationsmittel mischte sich mit dem Körpergeruch einer alten, bettlägerigen Frau zu jenem typischen muffigen Krankenhausaroma.
    Die Frau im Bett hatte die Augen geöffnet. Sie drehte sich zu mir um. Im fahlen Licht wirkte ihr Gesicht bleich wie eine Totenmaske, doch ein feines Lächeln umspielte ihren faltigen Mund. »Bist du der Engel?«, fragte sie.
    Ich legte einen

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