Glanz
regelmäßige Kundin war, gab sie mir einen schicken BMW zu einem Preis, der eigentlich nur für einen kleinen Toyota gegolten hätte. Ich gab an, den Wagen für eine dreitägige Fototour durch Neuengland zu brauchen. Ohne weitere Verzögerung machte ich mich auf den Weg.
|360| 39.
Ich erreichte die Fresh-Pond-Klinik gegen Mittag. Während der Fahrt hatte ich immer wieder Emilys Nummer angerufen und auch versucht, Paul und George zu erreichen – vergeblich. Ich hatte sogar Tante Jos Nummer bei der Auskunft erfragt, doch auch dort war niemand ans Telefon gegangen. Ich begann mich zu fragen, ob die Verschwörer das Handynetz manipulieren konnten und auf diese Weise meine Anrufversuche abblockten.
Ich erschrak über mich selbst, als mir klar wurde, dass solche Gedanken klare Anzeichen von Paranoia waren. Aber hatte ich nicht allen Grund, mich verfolgt zu fühlen?
So oder so war ich auf mich allein gestellt.
Ich parkte den Wagen in einer Seitenstraße und näherte mich dem Klinikgelände zu Fuß. Während der Fahrt hatte ich mir das Hirn darüber zermartert, wie ich vorgehen sollte, um zu Eric zu gelangen. Schließlich war mir nichts Besseres eingefallen, als es mit direkter Konfrontation zu versuchen. Es bestand ja immerhin die vage Hoffnung, dass es eine ganz andere, vielleicht sogar harmlose Erklärung dafür gab, dass ich in New York aufgewacht war. Vielleicht hatte ich mit Dr. Ignacius vereinbart, dass Eric noch ein paar Tage in der Klinik bleiben sollte, war aus irgendeinem Grund zurück nach New York geflogen und hatte dann – möglicherweise infolge einer Nachwirkung der Droge – einen Gedächtnisverlust erlitten. Vielleicht erwartete mich der Doktor längst zurück in der Klinik.
Doch diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Als ich an der |361| Rezeption nach meinem Sohn fragte, teilte mir eine freundliche junge Dame mit, ein Patient namens Eric Demmet sei nicht bekannt. Dr. Ignacius sei zu einer mehrtägigen Reise an die Westküste aufgebrochen und halte am Abend eine Rede auf einem Medizinkongress in San Francisco. Ich bat, mir die Klinik einmal von innen ansehen zu dürfen, doch wie erwartet wurde diese Bitte freundlich, aber bestimmt abgelehnt.
Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, nach diesem zweiten Arzt, Swenson, oder dem stellvertretenden Klinikleiter zu fragen. Sie waren sicher von Dr. Ignacius instruiert, mich abzuweisen. Auch mit einem Anwalt oder der Polizei zu drohen, würde wenig fruchten. Letztlich war es ja genau das, was diese Leute wollten: mich zu unüberlegten Handlungen provozieren, damit ich mich selbst diskreditierte.
Andererseits war ich auch nicht bereit, einfach so unverrichteter Dinge wieder nach New York zurückzukehren. Wenn man mich nicht in die Klinik ließ, würde ich mir eben irgendwie Zutritt verschaffen müssen. Ich überlegte kurz, ob ich mich verkleiden und unter einem Vorwand versuchen sollte, in die Klinik zu gelangen, aber ich hatte mich nie für eine gute Schauspielerin gehalten. Es musste einen anderen Weg geben.
Ich verließ das Gebäude und betrachtete den hohen Gitterzaun, der es umgab. Die Stäbe liefen in pfeilförmigen Spitzen aus. Ohne Hilfsmittel würde ich da nicht drüberklettern können. Zudem gab es in regelmäßigen Abständen Kameras auf Masten, die das ganze Gelände überwachten. Nur die Seite zum See hin schien nicht besonders gesichert zu sein.
Links und rechts der Klinik befanden sich Villengrundstücke, die ebenfalls mit hohen Zäunen gesichert waren. Etwa fünfhundert Meter entfernt erstreckte sich auf einer |362| Halbinsel ein kleiner Park. Ich setzte mich auf eine Bank am Seeufer, von der aus ich das Gelände der Klinik beobachten konnte. Sie wirkte verführerisch nah. Patienten spazierten umher oder wurden in Rollstühlen geschoben. Jeder in Begleitung einer weißgekleideten Person – offenbar war es Patienten nicht gestattet, das Gebäude allein zu verlassen. Eric war nicht unter ihnen, aber das hatte ich auch nicht erwartet.
Nach einer Weile fasste ich einen Entschluss. Ich fuhr durch die Straßen von Cambridge, bis ich ein Geschäft für Campingausrüstung fand. Dort kaufte ich ein Schlauchboot mit Rudern, das groß genug für zwei Personen war. Den Rest des Tages verbrachte ich mit erfolglosen Versuchen, Emily, Paul und George zu erreichen.
Erst am späten Abend näherte ich mich wieder der Klinik. Die Sonne war bereits untergegangen, und am klaren Himmel prangten Sterne. Ein Dreiviertelmond beschien den kleinen Park, der um
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