Glanz
und wurde durch eine unbestimmte Furcht ersetzt. Emilys Worte hallten durch meinen Geist: Anna, das hier ist gefährlich. Niemals sollte man versuchen, die Seele von jemandem zu berühren, der einem sehr nahe steht …
Ich wollte plötzlich hier weg. Ich schloss die Augen, versuchte, Emilys und Erics Hand zu spüren, den Stuhl, auf dem ich saß, doch da waren nur das Kitzeln des Gewands auf meiner nackten Haut und der Wind, der sanft durch mein Haar strich. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Was, wenn ich nie wieder in die wirkliche Welt zurückfand? Wenn ich ebenso ziellos in dieser endlosen Ödnis herumirrte wie Eric, ohne ihm jemals zu begegnen?
Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus – die Luft war |49| warm und trocken – und beruhigte mich. Emily würde mich schon irgendwie zurückholen. Die Wirkung der Kapsel würde irgendwann nachlassen, dann könnte ich diesen seltsamen Traum verlassen. Es war das Beste, die Zeit zu nutzen, solange ich hier war. Doch wohin sollte ich mich wenden? Die Ebene sah in allen Richtungen gleich aus.
Nein, nicht ganz. In der Ferne glaubte ich etwas zu erkennen, einen dunklen Umriss, so winzig, dass ich ihn beinahe übersehen hätte. Ich kniff die Augen zusammen. War das eine menschliche Gestalt? Nein, die Proportionen stimmten nicht.
Neugierig ging ich darauf zu. Der warme, grobkörnige Sand kitzelte unter meinen Füßen. Bald erkannte ich, dass das ferne Gebilde ein Baum war. Obwohl es die konturlose Landschaft schwermachte, Entfernungen abzuschätzen, kam er mir nicht sehr groß vor. Seine schwarzen Blätter bewegten sich im Wind.
Als ich mich auf etwa fünfzig Schritte genähert hatte, stoben die Blätter plötzlich auf, als habe eine Sturmbö sie erfasst. Sie wirbelten umeinander und kreisten über dem jetzt nackten Stamm: Hunderte schwarzer Vögel.
Erschrocken blieb ich stehen.
Die Vögel flogen in einem dichten Pulk auf mich zu. Ich wollte weglaufen, doch bevor ich auch nur einen Fuß vor den anderen setzen konnte, hatte mich der Schwarm erreicht. Ich sank auf die Knie und schützte meinen Kopf mit den Armen. Das Krächzen war ohrenbetäubend. Ich spürte den Luftzug der Schwingen in meinem Haar. Hin und wieder berührte mich eine Flügelspitze. Doch der befürchtete Angriff scharfer Krallen und Schnäbel blieb aus.
Während ich zitternd im Sand kauerte, stieg der Schwarm |50| allmählich höher. Als das Krächzen leiser wurde, wagte ich es, den Kopf zu heben. Die Vögel wanden sich in einer Spirale immer höher in den blassen Himmel und trieben schließlich davon wie eine Wolke dünnen Rauchs. Ich sah ihnen eine Weile nach, während sich mein Puls allmählich beruhigte.
Die nackten, schwarzen Zweige des Baums ragten in den Himmel, als flehten sie um Hilfe. Meine Finger strichen über die harte, spröde Rinde. Nicht die kleinste Spur von Leben schien in ihm zu sein.
Ich sah mich um. Doch ich entdeckte keine weiteren Landschaftsmerkmale. Da mir nichts Besseres einfiel, folgte ich der Richtung, in die die schwarzen Vögel geflogen waren.
Ich weiß nicht, wie lange ich wanderte; in dieser Welt konnte ich mich nicht auf mein Zeitempfinden verlassen. Der tote Baum war jedenfalls nicht mehr zu erkennen. Nur meine Fußabdrücke im Sand gaben mir einen Hinweis darauf, woher ich kam. Ich bemühte mich, mit meiner Spur eine möglichst gerade Linie zu ziehen.
Irgendwann entdeckte ich in der Ferne vor mir ein schmales dunkelgraues Band. Als ich mich ihm näherte, löste sich die diffuse Kontur in einzelne Felsen auf, die wie unregelmäßige gezackte Säulen in den Himmel ragten. Zunächst reichten sie mir nur bis zu den Knien, doch sie wurden immer höher und überragten mich bald um das Mehrfache meiner Körpergröße wie die Stämme gigantischer versteinerter Bäume – ein zerklüftetes Labyrinth. Der Wind machte ein leise pfeifendes Geräusch, wenn er die Kanten der Steintürme schliff. Der Boden war hart und uneben geworden, und wenn ich nicht aufpasste, stieß ich mir meine nackten Füße an herumliegendem Geröll oder schnitt mich an scharfen Kanten. Nach kurzer |51| Zeit schmerzten meine Füße so sehr, dass ich mehr humpelte als lief.
Ich blickte zu einer der Säulen empor, hoch wie ein sechsstöckiges Haus. Wahrscheinlich hätte ich von dort oben einen guten Blick gehabt, doch es gab keine Möglichkeit für mich, ohne Hilfsmittel an dem Felsen emporzuklettern.
Als ich weiterging, hörte ich hinter mir ein rasselndes Geräusch. Ich fuhr herum. Der Laut
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