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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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irgendwie freundlich. Die hellblaue Ummantelung wirkte harmlos wie Kinderspielzeug.
    Ich legte den Beutel zurück in die Schublade, ging in die Küche, füllte ein Glas mit Leitungswasser und schluckte die Kapsel. Dann setzte ich mich ins Wohnzimmer und sah hinaus auf den kleinen Park. Auf dem Basketballfeld auf der anderen Straßenseite spielten Schulkinder in Erics Alter. Ein paar Krähen kreisten über den Bäumen. In der Ferne sah ich die Spitzen der Wolkenkratzer des Finanzdistrikts aufragen, dort, wo früher die Zwillingstürme des World Trade Center gestanden hatten.
    Ich merkte, wie allmählich wieder Hoffnung in mir aufkeimte. Ich war in dieser Stadt geboren und aufgewachsen. New York war ein globales Symbol, eine Stadt, die Schreckliches erlebt hatte, die sich jedoch nicht unterkriegen ließ. Eine New Yorkerin gibt niemals auf!
    Neue Kraft begann in meinen Adern zu pulsieren, eine Energie, wie ich sie seit langem nicht mehr gespürt hatte. Ich fühlte mich gut. Nein, »großartig« war das passendere Wort.
    Ich stand auf, um einen kleinen Fleck an der Wand über dem Fernseher näher zu betrachten. Er war mir noch nie zuvor aufgefallen.
    Aus dem Augenwinkel nahm ich etwas wahr – ein seltsames Licht. Ich drehte mich um und sah, dass das ganze Zimmer zu leuchten schien. Es war keine externe Lichtquelle, die diesen Effekt verursachte. Es waren die Möbel selbst, die Bilder, selbst der abgenutzte Holzfußboden, die von innen heraus erglühten. Ich sah an mir herab und |43| erkannte, dass auch ich selbst in diesem merkwürdigen Licht erstrahlte, als sei ich eine Figur in einer Leuchtreklame bei Nacht.
    Alles sah auf einmal viel kräftiger, strahlender aus, viel bunter und lebendiger. Viel wirklicher.
    Ein breites Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Es funktionierte! Die Kapseln trugen den Namen »Glanz« zu Recht.
    Ich duschte, zog mir frische Kleidung an und stellte mich zum ersten Mal seit Wochen vor den Spiegel, um mich zu schminken. Mein Gesicht zeigte deutliche Spuren der Strapazen, doch es erschien mir trotzdem kraftvoll und schön. Ein fröhlicher Glanz lag in meinen Augen, den ich dort wohl seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte.
    Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, den Anrufbeantworter abzuhören, dessen Nachrichtenspeicher längst voll war, vielleicht Jerry anzurufen und ihm zu erklären, warum ich mich in den letzten Wochen nicht gemeldet hatte. Doch ich verwarf die Idee – es gab jetzt Wichtigeres zu tun.
    Ich fuhr ins Krankenhaus. Maria war immer noch krankgemeldet. Ich setzte meine ganze Überredungskunst ein, um von einer der anderen Schwestern ihre private Telefonnummer zu bekommen. Nach dem siebten Klingeln nahm jemand ab, eine junge Frau, deren Namen ich nicht genau verstand. Ich fragte nach Maria Morrison.
    »Augenblick, ich hole sie …« Dann eine kurze Pause. »Hallo?«
    »Maria? Hier ist Anna Demmet.«
    »Was ist los? Sie klingen so fröhlich. Ist Eric aufgewacht?«
    »Nein. Ich brauche die Telefonnummer von Emily.«
    |44| »Die kann ich Ihnen nicht geben.«
    »Maria, bitte! Sie war gestern hier. Wir haben gemeinsam versucht, Erics Seele zu erreichen, es jedoch nicht geschafft. Aber ich habe vielleicht eine Möglichkeit gefunden, wie wir zu ihm vordringen können. Das glaube ich zumindest.«
    »Meiner Tante geht es nicht gut«, erwiderte Maria.
    Das vertrieb meine Euphorie für einen Moment. Ich dachte an ihre blutunterlaufenen Augen, und zum ersten Mal, seit ich die Kapsel genommen hatte, befielen mich wieder Zweifel. »Darf ich bitte mit ihr sprechen?«
    »Es tut mir leid, aber sie braucht Ruhe.«
    Ich spürte, wie Wut in mir aufkeimte. Mein Sohn lag im Koma, und Maria erzählte mir, dass ihre Tante Ruhe brauche! Ich schluckte meinen Zorn herunter. »Bitte, Maria, ich möchte nur kurz mit ihr sprechen.«
    »Also schön. Aber bitte, Mrs. Demmet, schonen Sie sie!«
    Ich verließ das Krankenhaus und wählte die Nummer, die Maria mir genannt hatte, erreichte aber nur den Anrufbeantworter. Ich sprach Emily eine Nachricht auf. Da Mobiltelefone im Krankenhaus ausgeschaltet bleiben mussten, ging ich in der Hoffnung auf einen Rückruf spazieren.
    Bald darauf stand ich am Ufer des East River, an derselben Stelle, an der ich vor wenigen Tagen das junge Liebespärchen mit dem geteilten Kaugummi gesehen hatte. Der Fluss, die Bäume, die Menschen erstrahlten in jenem intensiven, von innen kommenden Licht, das die ganze Welt verzauberte. Selbst die grauen Anleger und Lagerhallen

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