Glanz
fühlte. An der Oberfläche Entsetzen - etwas, das zu erwarten gewesen wäre: der Schock der Erkenntnis, als Mutter versagt zu haben. Doch darunter lauerte etwas viel Tieferes, Bedrohlicheres, eine Dunkelheit der Seele, eine Verzweiflung, wie ich sie noch nie gespürt hatte. Eigentlich hätte die Tatsache, dass die Ärzte endlich den Grund für Erics Zustand kannten, meine Hoffnung schüren sollen. Doch tatsächlich hatte ich in diesem Moment das übermächtige Gefühl, meinen Sohn für immer verloren zu haben.
Der Arzt versuchte, mich zu beruhigen. »Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen, Frau Demmet. Aber es gibt eine realistische Chance, dass Ihr Sohn in ein paar Tagen von selbst wieder aus seinem Zustand erwacht. Jung und kräftig, wie er ist, kann es gut sein, dass er keine bleibenden Schäden davonträgt.«
Es war eine barmherzige Lüge.
2.
Ich musste nicht lange suchen: Eric hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Drogen raffiniert zu verstecken. In der obersten Schublade seines Schreibtischs fand ich unter ein paar zerknitterten Zetteln mit Notizen aus der Schule einen kleinen Plastikbeutel mit etwa zwanzig länglichen, hellblauen Kapseln. Sie sahen aus wie ein ganz normales, industriell hergestelltes Medikament, ein Vitaminpräparat vielleicht. Der Beutel war nicht beschriftet.
Mein erster Gedanke war, noch einmal in die Klinik zu fahren und den Ärzten das Zeug zu geben. Doch wozu? Sie wussten ja bereits, was passiert war, und irgendwie hatte ich das Gefühl, meinen Sohn zu verpetzen, wenn ich ihnen die Drogen zeigte. Also legte ich das Tütchen einfach zurück an seinen Platz.
Ich zwang zwei Käsetoasts in mich hinein und legte mich ins Bett, doch sobald ich die Augen schloss, sah ich Eric in blutbefleckter Rüstung auf dem Boden liegen, von schwarzen Vögeln bedeckt.
Nach einer schlaflosen Nacht sagte ich einen Auftrag ab, für den ich mehrere Monate gekämpft hatte, und fuhr in die Klinik. An Erics Zustand hatte sich nichts geändert. Ich saß an seinem Bett und hielt seine Hand. Er starrte mit leerem Blick an die Decke. Wenn man ihm leichte Schmerzen zufügte, zeigte er normale Reflexe, doch er schien unfähig, irgendetwas von seiner Umgebung wahrzunehmen, so als sei sein Geist in eine fremde Dimension gereist.
Ich konnte nicht mal weinen, fühlte mich innerlich hohl und ausgetrocknet wie eine Mumie, die nur noch von ihren Bandagen zusammengehalten wird.
Irgendwann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Als ich hochschrak, merkte ich, dass ich mit dem Kopf neben Erics Brust eingeschlafen war. Dunkle Träume verschwanden hinter einem Schleier des Vergessens, verbargen sich vor meinem Wachbewusstsein und lauerten darauf, mich im nächsten Schlaf erneut zu überfallen.
Die junge Pflegerin namens Maria sah mich sorgenvoll an. »Sie sollten nach Hause fahren und sich ausruhen. Wir rufen Sie sofort an, sobald sich etwas tut.«
»Aber er braucht mich«, protestierte ich.
Maria schüttelte leicht den Kopf, sagte jedoch nichts. Wieder sah ich diese anrührende Trauer in ihrem Gesicht. Sie hatte sich noch nicht die professionelle Distanz angeeignet, die das übrige medizinische Personal auszeichnete: die Fähigkeit, das Leid anderer Menschen von sich fernzuhalten, es mit neutralem, professionellem Blick zu betrachten wie ein unbekanntes Tier. Für einen Moment glaubte ich sogar, Tränen in ihren Augenwinkeln glitzern zu sehen, doch sie wandte sich ab, bevor ich mir sicher sein konnte, und ließ mich allein.
Am späten Nachmittag kam Dr. Kaufman in Begleitung eines zweiten Arztes in den Raum. Er stellte seinen Kollegen als Dr. Joseph Ignacius vor, einen Neurologen und Spezialisten für Wachkomafälle, der extra aus Boston angereist sei.
Dr. Ignacius hatte ein schmales, eingefallen wirkendes Gesicht, das von wässrigen Augen dominiert wurde. Er wirkte irgendwie nicht ganz gesund, so als habe er Fieber und gehöre eigentlich selbst ins Bett. Sein fester Händedruck überraschte mich.
»Ich würde gern noch ein paar spezielle Untersuchungen an Ihrem Sohn durchführen«, sagte der Neurologe. Seine Stimme klang ein wenig heiser. Vielleicht war er wirklich erkältet.
»Natürlich«, stimmte ich zu, ohne allzu viel Hoffnung, dass dieser kränkliche Arzt aus Boston mehr für Eric tun konnte als Dr. Kaufman.
Mein Junge wurde von der Intensivstation in die Radiologie gebracht, wo man ein Positronen-Emissions-Tomogramm von ihm erstellte. Dr. Ignacius erklärte mir, man könne damit die
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