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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Mutter
     
    »Is this the way out from this endless scene?
Or just an entrance to another dream?«
Genesis, The Light Dies Down On Broadway
     

Prolog
    Ich stehe mitten auf einer leeren Straße. Die geduldige Gewalt der Natur hat überall Grasbüschel und Baumschößlinge durch den Asphalt brechen lassen.
Am Ende der Straße erhebt sich ein großes Gebäude. Eckige Betonsäulen umgeben einen Eingang, dessen doppelflügelige Tür leicht offen steht,
wie um mich einzuladen. Über dem Eingang sind Buchstaben in kyrillischer Schrift angebracht. In der anderen Richtung ragt hinter einigen
Bäumen ein Riesenrad auf. Seine gelben Gondeln schweben reglos am tiefblauen Himmel wie Blüten, die sich in einem gigantischen Spinnennetz
verfangen haben.
    Wo bin ich? Wie bin ich hierher gekommen? Ich kann mich nicht erinnern.
    Die Häuser um mich herum sind schmucklose Betonkästen. Ausgebleichte Wäsche flattert auf einem Balkon leicht im Wind.
Einige der Fenster sind geöffnet, ein paar in den unteren Etagen zerbrochen.
    Es ist still. Kein Motorengeräusch, kein Handyklingeln, kein Kindergeplapper. Nicht einmal Vogelgezwitscher ist zu hören. Trotz der
grellen Mittagssonne ist mir kalt.
    Dieser Ort strahlt bedrückende Einsamkeit aus. Dennoch habe ich das unbestimmte Gefühl, aus den Schatten hinter den Fenstern beobachtet zu werden.

     
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1.
    Die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind ist die stärkste Kraft im Universum. Ich weiß nicht mehr, wo ich diesen Spruch gelesen habe, aber er stimmt. Doch wie jede Kraft kann auch diese heilen – oder zerstören.
    Ich bin New Yorkerin, geboren und aufgewachsen in Brooklyn. Ich habe meine Lektionen im Leben gelernt und bin nicht gerade zart besaitet. Von esoterischem Hokuspokus habe ich nie etwas gehalten, und gebetet habe ich das letzte Mal mit fünfzehn. Doch wenn deinem eigenen Kind etwas zustößt, dann kann es passieren, dass dein ganzes Weltbild einstürzt wie ein Wolkenkratzer nach einem Terrorangriff.
    Das ändert alles.
    Es war Dienstag. Ich hatte um neun einen Termin bei einer Werbeagentur in der Madison Avenue und war spät dran. Nebelhafte Erinnerungen an einen
seltsamen Alptraum zogen durch meinen Kopf, aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken.
    Ich klopfte laut gegen die Tür zum Zimmer meines Sohnes. »Eric? Eric, du kannst nicht schon wieder zu spät zur Schule kommen!«
    Ich wartete ein paar Sekunden, bevor ich sein Zimmer betrat – pubertierende Jungs sind ein bisschen empfindlich, was ihre Intimsphäre angeht. In der Tür blieb ich stehen.
    Sein Kopf mit den nicht zu bändigenden blonden Locken lag auf der Tischplatte. Ein Arm hing schlaff herab, die Hand des anderen umfasste noch die Maus. Nur das trübe Licht des Bildschirms erhellte den Raum.
    Ich seufzte. Diese verdammten Onlinespiele! Wenn Eric so weitermachte, würde er den Highschool-Abschluss niemals schaffen. Ich hatte schon alles versucht – reden, schimpfen, drohen, locken. Vergeblich. Jede freie Sekunde hockte er vor dem Computer und jagte irgendwelchen Monstern nach.
    Ich hatte nie verstanden, was ihn daran so faszinierte. Es musste etwas typisch Männliches sein - der Urinstinkt, auf die Jagd zu gehen, sich als Mann zu beweisen vielleicht. Dabei war es doch so armselig: Die Gefahren bestanden nur aus bunten Pixeln, und um ihrer Herr zu werden, brauchte man nicht mehr als ein paar Mausklicks.
    Ich hatte irgendwo gelesen, dass mindestens fünf Prozent der männlichen Jugendlichen computerspielsüchtig waren – im Schnitt einer in jeder Highschool-Klasse. Trotzdem hatte ich immer gehofft, Eric würde die Lust daran von selbst verlieren. Irgendwann, so redete ich mir ein, würde er ein Mädchen kennenlernen, das ihn auf andere Gedanken brachte. Immerhin war er jetzt fast fünfzehn. Doch wie sollte er sich je verlieben, wenn er nur vor seinem Laptop saß und

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