Glanz
war, hatten wir einen kurzen Urlaub in Las Vegas gemacht. Das war, bevor Ralph mich verließ. Er hatte dort beruflich zu tun – er war Anwalt – und meinte, es sei eine gute Idee, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Mich erschreckte die Stadt eher: all der falsche Glanz der Casinos und Showpaläste, die vielen einsamen Menschen, die verzweifelt versuchten, den Maschinen ein wenig Glück zu entreißen.
Ralph hatte viel zu tun und kaum Zeit für uns, und so waren Eric und ich meistens allein. Eric wollte unbedingt mal eine richtige Wüste sehen, also unternahmen wir einen Ausflug ins Death Valley. Die Landschaft sah aus, als habe jemand ein riesiges schmutziges Handtuch zerknüllt. Es war eindrucksvoll, aber ich hatte die ganze Zeit eine fast übermächtige Angst, der Wagen könne liegenbleiben und wir beide würden hier mitten in der Wüste verdursten. Trotz der Klimaanlage unseres Mietautos stand mir die ganze Zeit der Schweiß auf der Stirn. Als wir abends endlich zurück im Hotel waren, weinte ich beinahe vor Erleichterung. Ich mag Wüsten nicht besonders.
Am nächsten Morgen fuhr ich ins Krankenhaus und ging die meiste Zeit unruhig in Erics Zimmer umher. Ich war so nervös, dass ich ernsthaft überlegte, wieder mit dem Rauchen anzufangen, nur um irgendwas zu tun, bis Emily kam. Maria sah ich den ganzen Tag nicht.
Am Abend überkam mich die Angst, Emily werde ihr Versprechen nicht halten. Ich ging ins Schwesternzimmer und fragte nach Maria. Ich erfuhr, dass sie sich krank gemeldet hatte, und war mir plötzlich sicher, dass auch Emily einen Vorwand finden würde, um nicht zu kommen. Ich setzte mich wieder an Erics Bett und war auf einmal sicher, dass sich sein entspanntes, leeres Gesicht nie wieder zu einem Lächeln verziehen würde. Mein Hals schnürte sich zusammen.
»Hallo, Anna.«
Ich fuhr herum. Ich hatte Emily nicht hereinkommen hören. »Du … du bist gekommen!«
Sie sah mich ernst an. »Ich hatte es doch versprochen.« Sie zog sich einen zweiten Stuhl heran.
Meine Hände zitterten vor Aufregung. »Was muss ich tun?«
»Bleib einfach ganz ruhig sitzen. Wir nehmen jeder eine seiner Hände und fassen uns an, so dass wir einen Kreis bilden. Und jetzt schließ die Augen.«
Ich gehorchte und konzentrierte mich auf das Bild der Ebene.
Nichts geschah.
Enttäuscht öffnete ich die Augen wieder. »Nicht so ungeduldig«, sagte sie mit mildem Tadel in der Stimme.
Wieder schloss ich die Lider und versuchte, die Vision vom Vortag heraufzubeschwören. Ich wusste noch genau, wie die Ebene ausgesehen hatte – selbst die Form der einzelnen Steine in meiner Nähe hatte ich klar vor Augen. Doch so sehr ich mich bemühte, das Bild wollte sich einfach nicht einstellen.
»Lass das«, sagte Emily leise. »Versuch nicht, es zu erzwingen. Denk einfach an gar nichts.«
Ich fragte mich, woher sie wusste, was ich dachte. Konnte sie tatsächlich meine Gedanken lesen? Kannst du das, Emily?, dachte ich. Aber es gab keine Reaktion. Vermutlich hatte sie nur meine Anspannung gespürt.
Ich versuchte an gar nichts zu denken, wie Emily gesagt hatte. Aber das ist nicht so einfach. Ich behalf mir damit, dass ich mir einfach nur eine schwarze Wand vorstellte. Oder nein, eher einen schwarzen Vorhang. Einen Vorhang aus dünnem Stoff, schwarze Seide vielleicht. Ich konnte hindurchsehen – auf eine graue, steinige Ebene.
Ich streckte eine Hand aus, um den Vorhang zur Seite zu schieben, und saß wieder auf meinem Stuhl neben Erics Krankenbett. Ich begriff, dass ich den Kreis unterbrochen hatte.
Emily tadelte mich nicht. Sie ergriff einfach wieder meine Hand und schloss die Augen. Ich folgte ihrem Beispiel.
Es dauerte einen Moment, bis ich das Bild wieder sah. Doch durch den schwarzen Schleier war es verschwommen und undeutlich. Ich wartete, sorgsam darauf bedacht, nicht wieder denselben Fehler zu machen, es herbeizwingen zu wollen.
Doch die Ebene wurde nicht deutlicher.
Ich wurde ungeduldig. Es war zum Verzweifeln: Da war ich hier, in Erics Gedankenwelt, und dieser dämliche Schleier hielt mich davon ab, ihn zu finden! Doch was ich auch versuchte, ich konnte den transparenten Stoff nicht zum Verschwinden bringen.
»So hat es keinen Sinn«, sagte Emily nach einer Weile. »Lass es mich noch mal allein versuchen.«
Ich öffnete die Augen und ließ sie los. Wie gestern umklammerte sie Erics Hand und blieb reglos sitzen. Lange saßen wir so da, während langsam Verzweiflung in mir hochstieg. Schließlich hielt ich
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