Glanz
seltsame Trauer. Es war kaum denkbar, dass sie nur gespielt war. »Es … es tut mir leid. Ich gehe jetzt besser.« Sie stand auf.
»Nein, warten Sie!« Ich wusste, dass es vernünftig gewesen wäre, sie nicht aufzuhalten. Dass es sinnlos war, sich an einen solchen Strohhalm zu klammern. Doch es war mir plötzlich egal, ob es eine falsche Hoffnung war, die sie mir gab, solange ich nur irgendetwas hatte, an das ich mich klammern konnte. Ich betrachtete den leeren Kuchenteller vor mir und erkannte, dass Hoffnung, so klein und unbegründet sie auch sein mochte, das Einzige war, das mich am Leben hielt. »Es tut mir leid, ich hab es nicht so gemeint. Ich bin einfach etwas … erschöpft.«
Maria setzte sich wieder. »Schon gut. Ich hätte vielleicht gar nichts sagen sollen. Meine Tante hat mich davor gewarnt, darüber zu sprechen.«
»Worüber?«
»Was sie sieht.«
»Erzählen Sie es mir!«
»Wie gesagt, sie holt mich manchmal vom Dienst ab. Es ist schon ein paar Wochen her, Ihr Sohn war gerade von der Intensivstation zu uns verlegt worden. Sie war zuerst bei Mr. Lafferty, das war der alte Mann in dem Bett links, dort, wo jetzt Mr. Sanders liegt. Sie hat ihm die Hand auf die Stirn gelegt und einen Moment die Augen geschlossen. Dann hat sie gelächelt und gesagt, er sei bereit, endlich loszulassen, und dass es nicht mehr lange dauere. Am nächsten Tag war er tot.«
Eine tolle Geschichte. Einem sterbenskranken Menschen seinen Tod zu prophezeien, war wohl keine große Leistung. Aber ich verkniff mir meine skeptische Bemerkung.
»Dann gingen wir zu Eric«, fuhr Maria fort. »Ich erzählte ihr, dass er wegen einer Überdosis Drogen im Wachkoma liegt. Sie setzte sich zu ihm und nahm seine Hand. Sie saß ziemlich lange da, länger als bei den anderen Patienten, und ich dachte, vielleicht ist es schwieriger für sie, weil er so jung ist. Doch als sie die Augen wieder öffnete, waren sie glasig, und sie wirkte ganz verwirrt. Sie sagte etwas, das ich nicht verstand. Ich fragte nach, was mit Eric los sei, und erst in diesem Moment schien sie zu realisieren, wo sie war. Sie antwortete, er habe sich selbst verloren. 'Verloren?', fragte ich. 'Er findet den Weg zum Licht nicht', antwortete sie. Ich habe nicht genau verstanden, was sie damit meinte, aber sie wollte nicht darüber sprechen. Erst später hat sie es mir erklärt.«
Maria trank etwas Wasser, bevor sie fortfuhr. »Sie sagte, die Seelen der Sterbenden müssen ihren Weg zum Licht finden. Das ist manchmal ein langer, verschlungener Weg, doch jede Seele hat so etwas wie einen Kompass, der sie zuverlässig leitet. Die Seele Ihres Sohnes jedoch weiß nicht, wohin sie gehen soll.«
3.
»Hören Sie doch auf mit diesem Unsinn!«, rief ich so laut, dass sich die Köpfe an den Nachbartischen zu uns umwandten. »Ich will davon nichts mehr hören! Mein Sohn stirbt nicht!« Plötzlich begann ich zu zittern. Ein würgendes Geräusch entrang sich meiner Kehle, dann schüttelte mich ein Weinkrampf. Als Erwachsene habe ich nicht oft geweint, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Aber es war einfach zu viel.
Maria starrte schweigend in ihr Glas.
Nach einer Weile beruhigte ich mich. »Entschuldigen Sie. Es tut mir leid, dass ich die Fassung verloren habe. Ich glaube Ihnen, dass Sie für wahr halten, was Sie mir gerade erzählt haben. Aber wenn Ihre Tante tatsächlich mit Seelen sprechen kann, dann irrt sie sich! Mein Sohn sucht nicht den Weg ins Licht des Jenseits. Er sucht …«
Ich stockte, als mir ein Gedanke kam. »Vielleicht … vielleicht haben Sie ja Ihre Tante falsch verstanden. Sie meinte möglicherweise nicht dieses Licht, das die Sterbenden anlockt. Oder vielleicht hat sie es selbst missverstanden. Sie hat vielleicht wirklich die Seele meines Sohnes gesehen, die in seinem Kopf herumirrte. Aber er suchte nicht das Licht der Nachwelt. Er sucht den Weg zurück in die Wirklichkeit!«
Während ich redete, ließ Hoffnung mein Herz schneller schlagen, und sosehr ich mich auch bemühte, meine eigenen Erwartungen zu dämpfen, konnte ich meine Erregung doch nicht unterdrücken. Was, wenn es wirklich so war? Was, wenn Marias Tante keine Betrügerin war, sondern tatsächlich Kontakt zu Erics Seele gehabt hatte? »Ich muss unbedingt mit ihr sprechen!«
Maria wurde blass. »Ich … ich glaube nicht, dass das möglich ist. Ich habe Ihnen schon zu viel erzählt. Sie hat mir verboten, mit anderen darüber zu sprechen.«
»Maria, bitte! Verstehen Sie denn nicht? Wenn es wirklich
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