Glanz
wäre es, wenn du inzwischen die übrigen Pillen holst und bei der Gelegenheit ein paar Sachen für dich einpackst? Es ist sicher am besten, wenn du die nächsten Tage bei uns bleibst. Das Sofa im Wohnzimmer lässt sich zu einem Gästebett umbauen. Nicht allzu bequem, aber es wird gehen, denke ich.«
»Ja, das mache ich. Danke, Emily!«
Während ich im Taxi durch die überfüllten Straßen Manhattans fuhr, starrte ich gedankenverloren aus dem Fenster. Ich war hin und her gerissen zwischen der Hoffnung, die Emilys Unterstützung in mir geweckt hatte, und der Sorge, dass wir es trotz all unserer Bemühungen nicht schaffen würden. Marias Satz nagte an meiner Zuversicht wie Ratten an einer Leiche: Glauben Sie wirklich, Sie können ihn aus dem Koma befreien, indem Sie in seinem Kopf herumspazieren?
Während ich darüber nachdachte, glitt mein Blick über die Autos und die unzähligen Menschen am Straßenrand hinweg, ohne sich irgendwo festzusetzen. Die übliche Mischung aus Touristen, Geschäftsleuten und Hotdog-Verkäufern tummelte sich in den steinernen Schluchten Manhattans.
Plötzlich schrak ich zusammen. »Halten Sie bitte an«, rief ich dem Taxifahrer zu, einem Inder oder Pakistani. Noch bevor der Wagen richtig zum Stehen gekommen war, sprang ich raus. Ich sah mich um, doch in dem dichten Menschentreiben konnte ich die Person, die ich suchte, nicht mehr finden.
»Hey, Ma'am!«, rief der Taxifahrer hinter mir her. »Ma'am, Sie müssen bezahlen noch! Dreizehn und ein viertel Dollar!«
Ich wandte mich um und stieg wieder ins Taxi. Ich war mir sicher, dass am Straßenrand die Frau mit dem schwarzen Schleier gestanden hatte. Sie hatte mich direkt angesehen, als wir an ihr vorbeigefahren waren. Doch jetzt war sie spurlos verschwunden.
Der Taxifahrer musterte mich skeptisch im Rückspiegel. »Alles okay mit Ihnen, Ma'am?«
»Ja, schon gut. Entschuldigung, aber ich dachte, ich hätte eine Freundin gesehen. Fahren Sie bitte weiter.«
Kurz darauf erreichte ich meine Wohnung. Ich duschte und packte ein paar Sachen in eine Reisetasche – bequeme Kleidung zum Wechseln, Waschzeug, zwei Handtücher. Ich ignorierte das Blinken des Anrufbeantworters, wie ich es schon seit Wochen tat. Es war, als hätten mein altes Leben, mein Beruf, meine professionellen Kontakte aufgehört zu existieren. Sie bedeuteten mir nichts mehr. Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder in die Normalität zurückkehren konnte.
Ich verdrängte den Gedanken, ging in Erics Zimmer und steckte den Plastikbeutel mit den restlichen Glanz-Kapseln ein.
Ich war gerade im Begriff zu gehen, als es an der Wohnungstür klingelte. Die Polizei, durchzuckte es mich. Dr. Kaufman musste sie alarmiert haben. Immerhin war ein Patient aus dem Krankenhaus verschwunden. Es war naheliegend, dass sie zuerst bei mir suchten.
Reglos blieb ich stehen und hoffte, die Beamten würden von selbst wieder verschwinden. Es klingelte erneut, dann ein Klopfen. »Mrs. Demmet? Ich weiß, dass Sie da sind. Machen Sie bitte auf!«
Es war kein Polizist, der da vor der Tür stand. Diese Stimme gehörte dem Arzt aus Boston, Dr. Ignacius. Ich erinnerte mich, dass er heute extra nach New York gekommen war, um Eric zu untersuchen.
»Mrs. Demmet, bitte! Ich will nur mit Ihnen reden! Glauben Sie mir, es ist im Interesse Ihres Sohnes!«
Mich überkamen plötzlich Zweifel an dem, was ich getan hatte. Vielleicht hatten die Ärzte und Maria doch recht. Vielleicht steigerte ich mich in etwas hinein und gefährdete in Wahrheit Erics Leben, anstatt ihm zu helfen. Ich konnte mir wenigstens anhören, was dieser Dr. Ignacius zu sagen hatte. Er wusste ja nicht, wo sich Eric befand.
Ich öffnete.
Der dürre Arzt trat ein, ohne meine Aufforderung abzuwarten. »Ist er hier?«
»Nein.«
Er öffnete alle Türen, die von dem kleinen Flur abgingen, als wolle er sich selbst davon überzeugen. »Wo haben Sie ihn hingebracht?«
Ich spürte, dass es ein Fehler gewesen war, den Mann hereinzulassen. »Er ist mein Sohn. Ich allein habe das Sorgerecht für ihn. Ich lasse es mir weder von Dr. Kaufman noch von Ihnen wegnehmen!«
Dr. Ignacius' Lippen verzogen sich zu einem mageren Lächeln. »Niemand will Ihnen das Sorgerecht für Ihren Sohn entziehen, Anna«, sagte er. »Ich will Ihnen doch nur helfen!« Seine Stimme war freundlich und einschmeichelnd, doch gleichzeitig erschien sie mir unangenehm und falsch, wie die aufdringliche Freundlichkeit eines Versicherungsvertreters.
»Ich brauche keine Hilfe!«
»Doch,
Weitere Kostenlose Bücher