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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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surrealen Welt erlebt hatte. Aber am allermeisten überraschte mich dieses unbeholfene und anrührende Kompliment. Ich sah echte Bewunderung in seinen |64| Augen, und mir wurde klar, dass die Sache nicht so einfach war, wie ich geglaubt hatte. Ich hatte Erics Seele entdeckt, aber ich musste noch einen Weg finden, ihn aus seinem selbstgebauten Gefängnis zu befreien, und ihn zu seinem wahren Selbst führen. Doch erst einmal galt es, ein ganz banales Bedürfnis zu befriedigen: Ich hatte Hunger. Sehnsüchtig betrachtete ich das Stück Fleisch, das an einem Stock über dem Feuer briet und einen köstlichen Duft verströmte.
    Eric deutete meinen Blick richtig. Wortlos sprang er auf, nahm den Stock aus dem Feuer und hielt ihn mir hin. »Es ist nicht viel, Göttin, aber mehr kann ich dir nicht anbieten.«
    Ich griff nach dem Stock und schlug meine Zähne in das Fleisch. Es war etwas zäh, schmeckte aber köstlich, ein wenig wie gebratener Hummer. Seit Wochen hatte ich nicht mit solchem Appetit gegessen. Erst als ich den gröbsten Hunger gestillt hatte und mehr als die Hälfte des Fleisches vertilgt war, fragte ich mich, was ich da eigentlich aß.
    Ich hielt inne, etwas beschämt, dass ich den größten Teil von Erics Mahlzeit aufgegessen hatte, und reichte ihm den Stock.
    Er lächelte. »Ich beginne zu glauben, dass du eine Sterbliche bist«, sagte er. »Ich jedenfalls kann mir kaum vorstellen, dass eine Göttin mit solchem Appetit über eine gebratene Felsenspinne herfallen würde. Man sagt doch, dass ihr euch auf dem heiligen Berg von Nektar und Ambrosia ernährt.«
    Ich starrte das Stück Fleisch an. Aß ich tatsächlich eines der Monster, die mich verfolgt hatten? »Felsenspinne« schien mir jedenfalls ein treffender Name für die rasselnden Biester. Sie hatten ein wenig Ähnlichkeit mit an Land |65| lebenden, perfekt getarnten Krebsen gehabt. Warum sie also nicht essen? Das war allemal besser, als in ihren Mägen zu landen. Der Gedanke erfüllte mich mit grimmiger Befriedigung.
    Die Mahlzeit hatte mich durstig gemacht. Wortlos reichte mir Eric einen Wasserschlauch, der aus Ziegenhaut hergestellt war. »Trink in kleinen Schlucken. Ich habe leider nicht mehr viel Wasser, und bis zur nächsten Quelle könnte es noch weit sein.«
    Beschämt gab ich ihm den Schlauch zurück. »Ich denke, ich komme erst einmal ohne aus.«
    »Wie du meinst.«
    »Wo sind wir hier?«, fragte ich. »Wie bist du hierhergekommen?«
    »Wie soll ich wissen, wo wir hier sind, wenn selbst eine Göttin es nicht weiß? Ich bin nur ein einfacher Seefahrer, der hier gestrandet ist. Ich wurde ausgeschickt, um das Tor des Lichts zu finden.«
    Mein Puls beschleunigte sich. Das Tor des Lichts! Ich hatte keinen Zweifel daran, was das bedeutete: Eric suchte den Weg zurück in die Realität.
    »Ausgeschickt?«, fragte ich. »Von wem?«
    »In meiner Heimat Magnesia herrscht seit Jahren eine schreckliche Dürre. Die Menschen darben, und Trübsal und Not bestimmen ihr Leben. Viele sind schon gestorben. Niemand weiß, was die Götter so erzürnt hat. Mein Vater, König Aison von Iolkos, trug mir auf, den Grund herauszufinden. Ich ging zum Großen Orakel nach Delphi. Es sagte mir, ich müsse das Tor des Lichts finden, um das Land wieder erblühen zu lassen. Es befahl mir, über das Meer gen Osten bis zur Küste der Traurigkeit zu segeln. Also brach ich gemeinsam mit den tapfersten Kriegern von Magnesia auf. Wir segelten nach Thrakien und |66| Phrygien und sogar bis ins ferne Kolchis. Doch niemand hatte je von einer Küste der Traurigkeit gehört. So beschloss ich, in meine Heimat zurückzukehren und das Orakel erneut zu befragen. Doch Poseidon sandte uns einen schrecklichen Sturm. Mein Schiff, die Argo, versank mit all meinen Gefährten in den Fluten. Ich selbst wurde an dieses unbekannte Gestade gespült.« Seine Miene war ernst. Einen Augenblick schwieg er, als denke er an seine ertrunkenen Kameraden. Doch dann hellte sich sein Gesicht wieder auf. »Unser Volk muss doch noch Freunde unter den Göttern haben, denn ich fand dich.« Er runzelte die Stirn. »Du bist doch hier, um mir zu helfen, das Tor des Lichts zu finden, oder?«
    Nachdenklich betrachtete ich den jungen Mann, der sich Iason nannte. Eric hatte sich in seinem Kopf sein eigenes Computerspiel geschaffen, komplett mit Monstern und einer mystischen Suche, an deren Ende die Rückkehr in die Realität stehen würde. Doch es war ein Spiel auf Leben und Tod. Ich konnte nur spekulieren, was passierte, wenn er

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