Glanz
in seiner Traumgestalt getötet wurde. Ich bezweifelte, dass es in dieser Phantasiewelt so etwas wie einen Neustart gab.
Aber es musste einen einfacheren Weg hier heraus geben. Schließlich konnte man Computerspiele auch einfach abschalten.
Ich machte einen Schritt auf meinen Sohn zu und legte meine Hände auf seine Schultern. Er zuckte zusammen.
Meine Augen fixierten seine. »Hör mir genau zu«, sagte ich. »Du bist nicht Iason. Dein Name ist Eric. Du bist mein Sohn. Du hast in der wirklichen Welt ein Computerspiel gespielt. Du standest unter dem Einfluss einer Droge namens Glanz, von der du eine Überdosis genommen hast. Deshalb bist du ins Koma gefallen und hast dir hier |67| deine eigene Welt geschaffen. Doch du kannst dich daraus befreien. Du musst dir nur bewusst werden, dass all das hier – diese Küste, das Meer, deine Rüstung, das Feuer, selbst ich –, dass das alles nur ein Traum ist. Es ist nicht real! In Wirklichkeit liegst du in einem Krankenhausbett in New York, der Stadt, in der du geboren und aufgewachsen bist. Ich bin bei dir und halte deine Hand. Kannst du sie spüren? Wach auf, Eric. Bitte, wach auf!«
Der junge Krieger sah mich mit großen Augen an. Verwirrung lag darin, aber auch so etwas wie Bewunderung. Er sagte nichts.
»Bitte, Eric! Du musst dich erinnern!« Ich rüttelte seine Schultern. »Wach auf! Wach auf!«
Immer noch starrte er mich verständnislos an.
Auf einmal durchströmte mich Zorn – Zorn auf die Mistkerle, die Eric die Droge verkauft hatten, auf die Hersteller dieses idiotischen Computerspiels, das wie eine Endlosschleife in seinem Hirn lief, ein bisschen auch auf Eric, der mir das angetan hatte. Am meisten jedoch war ich wütend auf mich selbst, die ich mich nicht genug um ihn gekümmert und zugelassen hatte, dass er ahnungslos in den Abgrund stürzte. »Du bist mein Sohn! Du bist Eric. Du wirst dich nie mehr Iason nennen, verstanden?«
Er erhob sich, behielt jedoch den Blick auf den Boden zu meinen Füßen gerichtet. »Ja, Göttin.«
»Ich bin deine Mutter, verdammt noch mal!«, schrie ich.
»Ja … Mutter.«
Meine Wut verrauchte, als ich ihn so dastehen sah wie einen Schüler, der sich eine Moralpredigt anhören muss, ohne genau zu wissen, was er falsch gemacht hat. »Sieh mich an.«
Er hob zögernd den Kopf. Sein Gesicht spiegelte Angst. |68| Mir wurde plötzlich klar, dass er mich tatsächlich für eine zürnende griechische Göttin hielt, die ihn jederzeit mit einem Blitzstrahl niederstrecken konnte.
Ich seufzte. »Es tut mir leid. Ich weiß, du kannst nichts dafür. Wir werden also gemeinsam dieses dämliche Spiel zu Ende spielen. Ich werde dir helfen, das Tor des Lichts zu finden!«
Ein zaghaftes Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Mit deiner Hilfe werde ich die Aufgabe erfüllen, göttliche Mutter!«
In der Nähe erklang ein verräterisches Rasseln und erinnerte mich daran, dass wir in dieser unbekannten Welt nicht allein waren. Ich zuckte zusammen.
Eric grinste. »Keine Angst, göttliche Mutter. Sollte es eine dieser Kreaturen wagen, sich dir zu nähern, wird sie mein Schwert schmecken!« Er zog die Waffe aus der Scheide und hielt sie hoch. Das Metall glänzte im Licht des Feuers.
Ich war kaum beruhigt. Es mochte hier Schlimmeres geben als Felsenspinnen. »Hast du eine Idee, wie wir das Tor des Lichts finden können?«
»Nein, göttliche Mutter. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, du könntest mir sagen, wo es steht.« Er wies den Strand entlang. »Ich wandere schon seit Tagen an dieser Küste entlang und suche nach einem Weg, die Felsen zu erklimmen, doch ohne Hilfsmittel …«
»Die Mühe können wir uns sparen. Ich war dort oben. Da gibt es nur endlose Wüste.«
»Dann bleibt uns wohl nur, der Küste zu folgen.«
Er löschte das Feuer mit grauem Sand und hob seinen großen, runden Schild auf, der an einem Felsen gelehnt hatte. Dann brachen wir auf.
|69| 9.
Wir wanderten den schmalen Küstenstreifen entlang, der mit Sand und flachen Steinen bedeckt war. Meine Füße begannen bald wieder zu schmerzen. Als Eric meinen ungeschickten, hinkenden Gang bemerkte, löste er die Schnüre seiner Sandalen und bestand darauf, dass ich sie tragen solle. Er sei es von Kind an gewohnt, barfuß zu laufen, behauptete er.
Ich musste lachen. »Du? Du hast immer ein Riesentheater gemacht, wenn du barfuß laufen solltest! Weißt du nicht mehr, wie du gejammert hast, der Sand sei dir zu heiß, wenn wir auf Long Island am Strand waren? ›Aua Fuß‹, hast du
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