Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
Vom Netzwerk:
bereits außer Sicht.
    Die Straße führte durch bewaldete Hügel entlang eines idyllischen Sees, der im Licht der aufgehenden Sonne glitzerte. Der Rückspiegel zeigte nicht etwa eine lange Autokolonne, die mir folgte. Stattdessen glomm nur ein einzelnes Scheinwerferpaar hinter mir. Es war offensichtlich, dass meine Verfolger mich auf dieser Nebenstrecke isolieren wollten. Die Falle würde sehr bald zuschnappen.
    In höchster Anspannung fuhr ich weiter. Die Straße überquerte den See auf einer niedrigen Brücke Richtung Westen und bog dann wieder nach Norden. Vor mir sah ich hinter den Bäumen eine schwarze Rauchsäule aufsteigen.
    Ich umrundete eine Biegung. Rechts von der Straße fiel eine Böschung steil zum Seeufer ab. Ein Auto war den Abhang hinuntergestürzt und frontal gegen einen einzelnen Baum geknallt, der direkt am Seeufer stand. Es lag auf dem Dach. Flammen leckten aus der Front.
    Meine Furcht drängte mich, einfach weiterzufahren. Doch getrieben von einer Mischung aus Pflichtbewusstsein und einer seltsamen Faszination, hielt ich an. Mit zitternden Knien stieg ich aus und kletterte den Abhang hinab.
    Eine Stimme in meinem Hinterkopf flüsterte unablässig, dass ich von hier verschwinden musste, solange ich es noch konnte. Dass dies die Falle war, mit der ich die ganze Zeit rechnete. Doch ich konnte nicht anders – ich musste mich dem Wagen nähern, als würde ich von unsichtbaren Schnüren dorthin gezogen.
    Ich konnte plötzlich nicht mehr atmen. Es fühlte sich an, als sei mein Brustkorb in einen Schraubstock eingezwängt, den jemand unbarmherzig immer enger drehte.
    Ich kniete mich auf den Boden und starrte durch die zerborstenen Scheiben.
    Keine verkohlten Fratzen blickten mir entgegen. Der Wagen war leer.
    Im ersten Moment war ich unsagbar erleichtert. Doch dann fragte ich mich, wo der Fahrer sein mochte. Alle Türen waren geschlossen. Ich blickte mich um, doch ich konnte niemanden sehen.
    Ich zog mein Sweatshirt aus, umwickelte damit meine Hand und öffnete die Beifahrertür. Qualm schlug mir entgegen, doch ich konnte sehen, dass tatsächlich niemand im Inneren war.
    Verwirrt kletterte ich die Böschung wieder hinauf. In diesem Moment ertönte die Sirene eines Krankenwagens, und ein paar Sekunden später hielt das Fahrzeug am Straßenrand. Ein junger Mann in der Kleidung eines Notarztes sprang heraus. »Madam?«, rief er. »Geht es Ihnen gut, Madam? Sind Sie die Fahrerin des verunglückten Wagens?«
    Immer noch presste etwas meine Brust zusammen, so dass ich nicht sprechen konnte.
    »Madam? Können Sie mich verstehen?«
    Aus der Beifahrertür des Rettungswagens kletterte jetzt ein zweiter Mann. Er trug einen weißen Kittel und hielt einen schwarzen Arztkoffer in der Hand. Der dünne Mund in dem schmalen, eingefallen wirkenden Gesicht war zu einem Lächeln verzogen. »Lassen Sie, ich kümmere mich um sie«, sagte er zu dem Fahrer des Krankenwagens.
    »Dr. Ignacius«, brachte ich hervor. Es klang wie eine fremde Stimme, die aus meinem Mund kam – als sei ich nur die Puppe eines Bauchredners.
    Der Neurologe schien durch meine Würgeattacke keinen größeren Schaden genommen zu haben, was mich einerseits erleichterte, andererseits aber auch tief erschreckte. Hatte er seine Bewusstlosigkeit nur vorgetäuscht?
    Er kam langsam auf mich zu.
    »Lassen … lassen Sie mich in Ruhe!«, rief ich.
    »Ich will Ihnen doch nur helfen, Anna«, erwiderte Dr. Ignacius in beschwichtigendem Tonfall. Er öffnete seinen Arztkoffer und holte eine große Spritze hervor.
    Endlich überwand ich meine Schockstarre. Ich hob eine Hand. »Kommen Sie mir nicht zu nahe!«, rief ich.
    Der Mann ignorierte meine Worte. Er näherte sich mir behutsam, wie ein Tierarzt, der ein gefährliches Raubtier betäuben muss.
    Ich machte einen Schritt zurück. Plötzlich umklammerten mich starke Arme von hinten. Ich hatte den zweiten angeblichen Notarzt nicht im Auge behalten.
    »Beruhigen Sie sich, Anna!«, sagte Dr. Ignacius und hob die Spritze. »Es wird Ihnen nichts geschehen!«
    Ich spürte Zorn in mir, wie ich ihn noch nie empfunden hatte. Lodernde Wut, zu einem Punkt verdichtet, der wie ein winziges atomares Feuer in meinem Bauch glühte, heiß und verzehrend wie die Oberfläche der Sonne. »Sie mieses Schwein!«, stieß ich hervor. Die Wut stieg in mir empor, die Speiseröhre hinauf, glühte in meiner Kehle, brannte in meinem Mund. Ich schrie den Zorn heraus.
    Für eine Sekunde wurde ich durch ein grellrotes Licht geblendet.
    Als ich

Weitere Kostenlose Bücher