Glanz
Schultern.
|97| 12.
Verstört und in düsteren Gedanken rief ich mir ein Taxi. Es war fast vier Uhr morgens, als ich in unserem Apartmenthaus eintraf. Ich fummelte mit den Schlüsseln an der Wohnungstür herum, doch keiner wollte passen.
Plötzlich hatte ich das Gefühl, als entgleite mir mein Leben immer mehr. Ich geriet in Panik. Der Schlüsselbund fiel mir herab – auf eine Fußmatte mit einer lachenden Mickey Mouse und dem Wort »Welcome«.
Ich erstarrte. Ich hatte diese Matte dort ganz sicher nicht platziert.
Verwirrt richtete ich mich auf und sah auf das Klingelschild. Erst jetzt begriff ich, dass ich vor der falschen Wohnung stand. Offensichtlich war ich so müde und desorientiert, dass ich versehentlich ein Stockwerk zu niedrig gestoppt hatte. Ich stieg die Treppe hinauf in den dritten Stock, bis ich endlich vor meiner Wohnung stand. Der Schlüssel passte beim ersten Versuch. Erschöpft und erleichtert fiel ich auf mein Bett und schlief ein, bevor ich mich ausziehen konnte.
Ich erwachte mit Kopfschmerzen und einem unangenehmen Geschmack im Mund. Es war elf Uhr morgens. Ich nahm ein kleines Frühstück zu mir, das aus wenig Toast und viel Kaffee bestand, und fuhr ins Krankenhaus.
Erics Zustand war unverändert. Ich fragte die Stationsschwester nach Dr. Kaufman, doch der war mit Untersuchungen beschäftigt. Erst am Nachmittag fand er die Zeit, in Erics Zimmer zu kommen. »Sie wollten mich sprechen, Mrs. Demmet?«
|98| »Ja. Ich möchte Eric gern zu mir nach Hause holen.«
Der Arzt zog die Augenbrauen herab. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, Mrs. Demmet.«
»Warum nicht? Sein Zustand ist unverändert. Ich habe schon mehrmals gesehen, wie die Schwestern ihn durch die Magensonde mit Flüssigkeit und Nahrungsbrei versorgt haben. Ich bin sicher, ich kann das zu Hause auch selbst tun. Ich könnte mir auch eine Pflegekraft …«
»Mrs. Demmet, ich will Sie nicht beunruhigen, aber es könnte jederzeit sein, dass sich Erics Zustand spontan verschlechtert. Dass sein Kreislauf zusammenbricht. Dann muss er sofort behandelt werden. Glauben Sie mir, es ist besser, wenn er hier unter unserer Beobachtung ist.«
»Aber viele Ärzte sind der Ansicht, dass die vertraute Umgebung für Wachkomapatienten viel günstiger ist als die Krankenhausatmosphäre«, widersprach ich. »Wenn Eric erst mal in seinem eigenen Zimmer ist, wird er vielleicht …«
Dr. Kaufman unterbrach mich. »Sie sollten nicht allen Blödsinn glauben, der im Internet über das Wachkoma verbreitet wird«, sagte er mit Ungeduld in der Stimme. »Jeder Patient ist anders, und Erics Fall ist besonders kompliziert. Ich habe erst gestern mit Dr. Ignacius telefoniert, der morgen wieder hier sein wird, um Eric zu untersuchen. Er ist ebenfalls der Meinung …«
Zorn wallte in mir auf. »Dr. Ignacius hat meinem Sohn bisher kein bisschen geholfen«, rief ich. »Genauso wenig wie Sie! Aber ich habe einen Weg gefunden, um ...« Ich stockte. Mir war klar, dass ich nichts erreichen würde, wenn ich dem Arzt die Wahrheit erzählte.
Dr. Kaufman musterte mich kritisch. »Sie haben was?«
»Ich bin der Überzeugung, dass seine vertraute Umgebung |99| ihm helfen wird, den Weg zum Licht zu finden«, sagte ich.
Sein Misstrauen wuchs spürbar. »Den Weg zum Licht? Was für ein Licht? Hat Ihnen diese Emily Morrison das eingeredet?«
Ich konnte mich nicht bremsen. Die Erlebnisse der letzten Tage gaben mir das Gefühl, es mit einem bornierten Ignoranten zu tun zu haben. »Sie haben ja überhaupt keine Ahnung!«, fuhr ich ihn an. »Sie mit Ihrer Schulmedizin bewirken doch nicht das Geringste! Im Gegenteil – je länger Eric hier liegt, desto tiefer verirrt er sich in seiner eigenen Phantasiewelt!«
Dr. Kaufman senkte die Stimme. Er sprach jetzt in diesem ruhigen, professionellen Ton, den er sicher oft gegenüber hysterischen Angehörigen anwandte. »Sie täuschen sich, Mrs. Demmet. Eric ist in keiner ›Phantasiewelt‹ gefangen. Er liegt im Koma. Das ist ein Schutzmechanismus des Körpers gegen einen starken Schock oder ein Trauma. Das Gehirn wird quasi in den Urlaub geschickt. Eric wird von selbst wieder zu sich kommen, wenn sein Körper sich ausreichend regeneriert hat. Und das können wir nun mal hier im Krankenhaus am besten überwachen!«
»Blödsinn!«, rief ich. »Eric wird sterben, wenn wir ihm nicht helfen, zu sich selbst zu finden!«
»Mrs. Demmet«, sagte der Arzt in scharfem Tonfall. »Ich bezweifle doch sehr, dass Sie über die nötigen
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