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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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wenn das geht«, sagte ich.
    Die blonde Frau sah mich zweifelnd an. »Ich fürchte, das ist nicht möglich. Ich kenne Sie ja nicht einmal. Ich muss Sie wirklich bitten …«
    »Aber es ist wirklich wichtig! Bitte!«
    »Also schön. Kommen Sie.« Sie führte mich in ein kleines Zimmer. Poster von Musik- und Filmstars hingen an der Wand. In einem Regal standen ein paar Liebesromane neben einem Stapel Mangas. Das Bett war voller kitschiger herzförmiger Kissen in Rosa, Rot und Orange. Eine große, schon arg mitgenommene Stoffpuppe lag dazwischen. Das Zimmer wirkte ein bisschen juvenil für eine Krankenschwester.
    Ich setzte mich aufs Bett. »Ich warte hier, bis sie zurückkommt.«
    »Okay. Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Ja, gern, danke.«
    Das Getränk war dünn und schmeckte nach Geschirrspülmittel. Die Müdigkeit, die mich plötzlich überfiel, konnte es nicht verdrängen. So dauerte es nicht lange, bis ich mich auf Marias Bett einrollte und einschlief.
     
    »Sie! Was tun Sie hier?«
    Ich schreckte hoch und sah auf die Uhr: halb zwei morgens. »Entschuldigen Sie, Maria. Ich … ich muss dringend mit Ihrer Tante sprechen!«
    »Das geht nicht!« Ihre Stimme, die herabgezogenen Augenbrauen und die zu einem Strich gepressten Lippen signalisierten Entschlossenheit. Doch ihr junges Gesicht wirkte müde, und in ihren sanften Augen lag etwas, das Trauer sein konnte oder tiefe Sorge.
    |92| Ich stand auf. »Bitte, Maria! Sagen Sie mir, wo sie wohnt. Es geht um Leben und Tod!«
    Marias Gesicht verhärtete sich noch mehr. »Aller dings !« Zu meiner Überraschung drehte sie sich um und sah mich über die Schulter an. »Kommen Sie mit!«
    Ich folgte ihr durch die nächtlichen Straßen. Auf einem der Masten, deren Leuchtstoffröhren den Asphalt in blasses Licht tauchten, saß eine Krähe. Ich konnte im Gegenlicht nur ihre Umrisse erkennen, doch ich spürte, wie ihre kalten schwarzen Augen mich anstarrten.
    Es waren nur wenige Blocks bis zu Emilys Wohnung. Ein Mann mit kurzen grauen Haaren und Bauchansatz öffnete uns. Er trug nur ein T-Shirt und Shorts. »Da bist du ja noch mal, Schatz. Wen hast du denn mitgebracht? Ist sie Ärztin?«
    »Nein«, antwortete Maria, und ihre Stimme klang eisig. »Sie ist das Problem!«
    Der Mann warf mir einen Blick zu, der mich frösteln ließ. »Ich bin Paul Morrison, Emilys Mann«, sagte er mit kühler Stimme. »Kommen Sie herein!«
    Die Wohnung strahlte jene altmodische Gemütlichkeit aus, die von einem langen harmonischen Leben herrührt. Doch statt Harmonie spürte ich deutlich die Anspannung, die hier herrschte. Emilys Mann führte uns in ein kleines Schlafzimmer. In dem Doppelbett lag Emily.
    Ihr Anblick schockierte mich. Sie sah um Jahrzehnte gealtert aus, das Gesicht grau und eingefallen. Ihr Rücken war durch mehrere große Kissen gestützt, so dass sie halb aufgerichtet war. Sie starrte mit leeren, immer noch blutroten Augen vor sich hin, offenbar ohne uns wahrzunehmen. Ihr Mund war halb geöffnet, und ein dünner Speichelfaden rann daraus herab.
    |93| »Sehen Sie, was Sie angerichtet haben!«, sagte Paul Morrison.
    »O Gott!«, entfuhr es mir. »Das … das tut mir leid! Aber … wieso … als ich sie vorgestern im Krankenhaus sah, da war sie doch noch …«
    »Sie ist kaum ansprechbar«, sagte Maria. Und wie um es mir zu demonstrieren, trat sie neben das Bett. »Tante Emily? Tante Emily, hier ist Besuch für dich!«
    In diesem Moment begriff ich, dass sie mich nicht hergeführt hatte, um mir meinen Wunsch zu erfüllen oder mir zu helfen. Sie hatte die schwache Hoffnung, dass mein Anblick irgendwas in Emily auslösen, etwas an ihrem Zustand verändern würde. Und sie hatte recht.
    Emily wandte mir langsam den Kopf zu. Ihre müden Augen hoben sich ein wenig, bis sie mich ansah. Sie lächelte schwach. »Hallo, Anna«, sagte sie kaum hörbar.
    Tränen schossen mir in die Augen. »Oh, Emily!«, rief ich, stürzte zum Bett und umarmte sie.
    Etwas wie ein elektrischer Schlag durchzuckte mich, als ich sie berührte, so als sei ihr Körper statisch aufgeladen. Doch das Gefühl verschwand augenblicklich, so dass ich mir nicht sicher war, ob ich mich nicht getäuscht hatte. Wir hielten uns einen Moment umklammert. Dann löste ich mich langsam von ihr, und Emily sank zurück in die Kissen.
    »Können Sie ihr irgendwie helfen?«, fragte Maria.
    Mir kam ein Gedanke. »Ich … ich weiß auch nicht. Vielleicht hat sie irgendwie immer noch eine Verbindung zu … zu Erics Seele. Vielleicht ist ihr

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