Glanz
Bewusstsein, aber sie wirkte sehr geschwächt. Trotzdem lächelte sie, als sie mich sah.
»Was ist mit Ihrem Sohn?«, fragte Emilys Mann.
Ich erzählte ihm, was geschehen war.
Er nickte. »Also hatte Maria recht.«
»Ja, leider. Ich werde am besten einen Anwalt anrufen. Es kann doch nicht sein, dass dieser Quacksalber meinen Sohn gegen meinen Willen bei sich behält!«
Paul Morrison warf einen sorgenvollen Blick auf seine Frau. »So viel Zeit haben wir nicht«, sagte er.
»Was sollen wir denn sonst machen?«, fragte Maria, die am Bett ihrer Tante saß.
Emilys Mann machte ein grimmiges Gesicht. »Wir werden Eric herholen, ob die Ärzte was dagegen haben oder nicht!«
|103| Einige Stunden später stand ich in einem kleinen Nebenraum der Neurologie. Ich trug einen weißen Arztkittel, hatte mir ein Stethoskop umgehängt und fühlte mich wie eine Terroristin kurz vor dem Attentat.
»Wenn wir das wirklich durchziehen wollen, dann am besten zwischen zwei und drei Uhr morgens«, hatte Maria gesagt. »Das ist die ruhigste Zeit.« So waren wir mit Paul Morrisons klapprigem Ford zum Krankenhaus gefahren. Maria trug ihren Schwesternkittel und ihre Identifikationskarte. Sie war im Inneren verschwunden und kurz darauf mit einer Plastiktüte zurückgekommen, in der sich ein weiterer Kittel, ein Stethoskop sowie eine Identifikationskarte befanden, die auf eine Dr. Alice Deaver ausgestellt war. Die Frau auf dem Foto sah mir nicht im Entferntesten ähnlich – sie hatte zurückgekämmtes schwarzes Haar, buschige Augenbrauen und ein Doppelkinn – doch wir hofften, dass in der Nacht niemand darauf achtete. Ohne eine solche Karte herumzulaufen, hätte sicherlich mehr Verdacht erregt.
Der Nachtpförtner hatte uns nur kurz zugenickt, als Maria die elektronische Tür ein zweites Mal mit ihrer Magnetkarte geöffnet hatte. Ich tat es ihr gleich, halb in Erwartung, dass ein Alarm ertönen und sich von allen Seiten Sicherheitskräfte auf mich stürzen würden, doch nichts dergleichen geschah. Ein Krankenhaus war keine Bank.
Nun also standen wir im Nebenraum und spähten durch einen Türspalt hinaus. Ausgerechnet in dem Moment, als wir die Station erreichten, war ein Notfallalarm ausgelöst worden. Ein junger Arzt war in eines der Zimmer gerannt. Jetzt wurde ein Rollbett an uns vorbeigefahren. Der Arzt lief nebenher, während er einen besorgten Blick auf die Gestalt darauf warf. Eine schreckliche Sekunde |104| lang befürchtete ich, es könne sich um Eric handeln, doch dann sah ich den grauhaarigen Kopf einer Frau.
Wir warteten einen Moment, bis sich die Aufregung gelegt hatte und wieder Ruhe eingekehrt war. Dann gingen Maria und ich mit zielsicherem, professionellem Schritt in Erics Zimmer.
Mein Sohn hatte die Augen geschlossen. Es brach mir fast das Herz, ihn so friedlich daliegen zu sehen. In der Nacht gab es kaum einen Unterschied zwischen seinem Zustand und dem ganz normaler Menschen in gesundem Schlaf. Einem Impuls folgend streckte ich meine Hand aus und rüttelte an seiner Schulter, aber natürlich zeigte er keine Reaktion.
Maria betätigte ein paar Schalter an den Geräten, die seinen Kreislauf überwachten, so dass kein Alarm ausgelöst wurde, als wir die Clips an seinem Körper entfernten. Wir lösten die Bremsen des Bettes und schoben es über den Flur. Niemand hielt uns auf.
Wir fuhren mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss. Nun kam der kritische Teil. Ein Patiententransport musste beim Pförtner angemeldet werden. Hätte Eric selbst gehen können, hätten wir ihn vielleicht irgendwie durch die Besucherschleuse bugsieren können, doch in einem Rollbett war das unmöglich. Uns blieb als einzige Möglichkeit der Notausgang.
Maria öffnete die mit einem Warnschild gekennzeichnete Tür. Augenblicklich erklang ein schriller Alarm. »Schnell jetzt!«
Ihre Aufforderung war unnötig. Wir rannten über einen gepflasterten Weg. Ich hatte Sorge, in diesem Tempo könnte das Bett bei der kleinsten Unebenheit umkippen, doch wir erreichten den Parkplatz ohne Schwierigkeiten. Erst in diesem Moment stürmten zwei Männer in weißen |105| Kitteln aus dem noch immer offenen Notausgang. »Halt! Bleiben Sie stehen!«, riefen sie.
Paul stand mit laufendem Motor bereit. Er hatte die Nummernschilder in der Zwischenzeit mit Packpapier überklebt. Weit würden wir damit nicht kommen, aber wenigstens machten wir es unseren Verfolgern etwas schwerer. Wir wuchteten Eric auf den Rücksitz des Wagens. Ich sprang in den Fond und knallte die Tür zu,
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