Glanz
doch wieder nicht, sagte nur noch zwei Worte, deren Sinn ich nicht verstand: »Zerbrochenes Licht.« Dann verhüllte sie ihr Gesicht wieder mit Tüchern.
»O nein!«, rief ich. »So leicht kommst du mir nicht davon!« Ich streckte die Hände aus, um erneut den Schleier zu lüften, doch starke Arme umfassten mich von hinten und zerrten mich vom Podest herab. Jemand presste eine metallene Maske auf mein Gesicht und zurrte sie an meinem Hinterkopf fest. Jubelschreie erklangen: »Unsere glückselige Königin hat uns ihre Heiterkeit geschenkt! Glück und Fröhlichkeit! Glück und Fröhlichkeit!«
Die Soldaten schoben mich aus dem Thronsaal, durch den Raum mit den Mosaiken und zum Eingang des Palastes. Sie stießen mich die Stufen hinab. »Solltest du noch einmal mit ernstem Gesicht gesehen werden oder dich diesem Palast nähern, werde ich dich töten«, sagte einer von ihnen. Das klang überhaupt nicht fröhlich.
Ich stolperte die Treppe hinab. Die Sehschlitze der Maske schränkten mein Gesichtsfeld ein, so dass ich fast stürzte. Auf der untersten Stufe setzte ich mich hin und dachte nach.
Ich war mir selbst begegnet. In Träumen konnte so |154| etwas passieren. Aber was hatte das zu bedeuten? Dies war nicht mein Traum, sondern Erics. Diese merkwürdige Königin entsprach nicht meinem wahren Selbst, sondern dem Bild, das er von mir hatte. Die Trostlosigkeit in ihren Augen hatte mich tief erschreckt. Warum sah er mich so? Ich hatte mich immer bemüht, ihm eine gute, verständnisvolle Mutter zu sein. Sicher hatten wir in letzter Zeit oft Streit gehabt. Ich hatte ihm Vorwürfe gemacht, weil er so viel Zeit vor dem Computer verbrachte und die Schule vernachlässigte. Aber demnach hätte er mich doch eher als eine ungerechte Furie darstellen können. Woher kam nur diese Hoffnungslosigkeit?
Ein Gedanke elektrisierte mich. Vielleicht war dies nicht das Bild, das er von mir gehabt hatte, bevor er ins Koma fiel. Vielleicht spürte er meine Anwesenheit, konnte mich sehen, meine Stimme hören, wenn auch nur hin und wieder für ein paar Augenblicke. Ich hatte Berichte darüber gelesen, dass einige Wachkomapatienten ihre Umwelt wahrnahmen, aber nicht darauf reagieren, sich nicht äußern konnten. Wenn das auch für Eric zutraf, dann war er vielleicht nicht völlig in seiner Traumwelt gefangen. Diese Erkenntnis erfüllte mich mit neuer Zuversicht, so dass mein Mund sich für einen Moment tatsächlich zu dem Lächeln verzog, das meine Maske zeigte.
Ich überlegte, ob ich versuchen sollte, noch einmal in den Palast zurückzukehren und mehr von meinem Ebenbild zu erfahren. Aber die Warnung des Soldaten war unmissverständlich gewesen, und ich durfte in dieser Welt, von deren Traumgesetzen ich so wenig verstand, kein unnötiges Risiko eingehen.
Ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich jetzt wenden sollte. Also wanderte ich ziellos durch die Straßen der antiken Stadt. Jetzt, wo ich eine Maske trug wie alle anderen, |155| wurde ich nicht mehr so angestarrt. Lediglich mein schwarzes Gewand schien Missfallen, bisweilen sogar Abscheu zu erregen, wie ich an den Blicken hinter den Masken zu erkennen glaubte.
Mir fiel auf, dass die Straßen zwar voller Menschen waren, es aber ziemlich leise zuging. Wenn gesprochen wurde, dann eher gedämpft. Gelegentlich erklang ein gekünsteltes Lachen, aber der Lärm, den man in einer großen antiken Stadt hätte erwarten können, fehlte. Es war, als traue sich niemand, die Stimme zu erheben.
Ich trat an einen Stand, der etwas anbot, das wie verschrumpelte Äpfel aussah. Ich hatte das Gefühl, in dieser Welt weniger Hunger und Durst zu haben als in der Realität, dennoch verspürte ich den Wunsch, eine dieser Früchte zu essen, auch wenn sie nicht unbedingt appetitlich wirkten. Aber ich hatte nichts, womit ich sie hätte bezahlen können.
Also wandte ich mich der maskierten Frau zu und fragte nach dem Tempel der Wahrheit. Eric wartete immer noch am Unterkiefer des riesigen Schädels; ich musste dorthin zurückkehren.
Die Frau schien über meinen ernsten Tonfall zu erschrecken und reagierte mit übertriebener Fröhlichkeit. Von einem Tempel der Wahrheit habe sie noch nie gehört und er fehle ihr auch nicht zu ihrer Glückseligkeit. Hier in der Stadt des Lächelns gebe es nur den Palast der Glücklichen Königin, da brauche man keine Tempel.
Ich beschrieb ihr den Schädel, die gigantischen Rippenbögen und die Affenwesen, doch all dies war ihr fremd. Sie wünschte mir bei meiner Suche aber Glück und
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