Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
Vom Netzwerk:
gewiss ist. Er hob eine Hand in einer absurden Geste der Beschwichtigung. »Haben Sie keine Angst, Anna! Ich will nur Ihr Bestes!«
    »Verschwinden Sie!«, schrie ich. »Hauen Sie ab!« Ein Schluchzen entrang sich meiner Kehle. »Eric!«, rief ich. »Eric, bitte hilf mir!«
    »Ihr Sohn kann Sie nicht hören, Anna!«, wisperte der Mann. »Bitte, vertrauen Sie mir! Wehren Sie sich nicht!«
    Meine Knie zitterten. Wenn ich doch nur daran gedacht |145| hätte, Erics Schild und Schwert mitzunehmen! Ich bezweifelte, dass ich damit viel gegen den brennenden Mann hätte ausrichten können, doch ich hätte mich ihm wenigstens nicht kampflos ergeben müssen.
    Mir fielen die Hilfsmittel ein, die ich in dem Stoffbeutel bei mir trug. Ich holte die Wasserflasche hervor und spritzte etwas von dem wenigen Wasser, das noch darin war, in das Flammengesicht.
    Es gab ein zischendes Geräusch, als das Wasser augenblicklich verdampfte. Ich hatte nicht erwartet, dass die geringe Menge dem Mann ernsthaft schaden könnte, doch er gab ein hässliches fauchendes Geräusch von sich. Er hielt seine lodernden Hände schützend vor das Gesicht und machte einen taumelnden Schritt rückwärts.
    Ich nutzte meine Chance und spritzte den Rest des Wassers auf seine Hände und den Kopf. Er zuckte zusammen, krümmte sich. »Nein!«, fauchte er. »Sie machen einen Fehler, Anna! Lassen Sie mich Ihnen helfen!«
    »Verschwinden Sie!«, brüllte ich. »Hauen Sie ab!« Ich hielt die jetzt leere Wasserflasche drohend in die Höhe.
    Der Bluff wirkte. Der Flammenmann hob die Hände in einer Geste der Resignation. Er schleppte sich zur Tür wie ein Schwerverletzter. Noch einmal drehte er sich zu mir um. »Ich werde wiederkommen, Anna! Ich werde Ihnen helfen!« Er öffnete die Tür, trat hindurch und schloss sie hinter sich.
    Ich sackte am Boden zusammen und übergab mich. Es dauerte einen Moment, bis ich die Kraft fand aufzustehen. Zitternd ging ich zu dem Bett mit der reglosen Gestalt. Ich streckte meine Hand nach dem Laken am Kopfende aus, zögerte. Schließlich gab ich mir einen Ruck und zog das Laken herab.
    Im selben Moment schien die Gestalt in einer Wolke |146| aus schwarzen Federn zu explodieren. Mindestens ein Dutzend schwarzer Vögel stob unter dem Laken hervor. Laut krächzend flatterten sie durch das Krankenzimmer. Ich hielt schützend die Hände über den Kopf und taumelte zum Fenster.
    Ich öffnete es, um die Vögel aus dem Zimmer zu lassen. Dabei warf ich einen Blick auf die schwarze wogende Fläche draußen und schrie vor Entsetzen auf.
    Es waren Krähen. Millionen von ihnen. Ihre schwarz glänzenden Körper bewegten sich leicht, so dass der Eindruck einer wogenden Fläche entstand. Als die Vögel aus dem Zimmer hinausflogen, erhoben sich auch die Krähen draußen in die Luft. Ein gewaltiges Rauschen entstand, als sie alle gleichzeitig mit den Flügeln schlugen.
    Ich warf mich auf den Boden, verschränkte die Hände über dem Kopf und schloss die Augen.
    Nach einer Weile verstummte das Rauschen. Ich schlug die Augen auf und erhob mich. Das Zimmer war leer. Draußen vor dem Fenster erstreckte sich jetzt eine endlose graue Ebene. Ich betrachtete das Bett, von dem ich geglaubt hatte, Eric liege darauf. Ich konnte die Spuren von Vogelkrallen sehen, die sich in das Laken eingedrückt hatten.
    Ich betätigte die Türklinke erneut, erwartete halb, die Tür verschlossen zu finden, doch jetzt ließ sie sich mühelos öffnen.
    Ich trat hindurch und fand mich auf einer belebten Straße inmitten einer fremden Stadt wieder. Die Gebäude waren niedrig und weiß getüncht. Es gab Verkaufsstände, die Tonkrüge, Tücher und getrocknete Früchte feilboten. Menschen in farbenfrohen Gewändern liefen umher. Sie alle trugen Masken aus blankem Metall, die lächelnde Gesichter zeigten.
    |147| Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Sie bestand aus einfachem, unlackiertem Holz, mit einem simplen Knauf als Griff. Ich versuchte vergeblich, sie wieder zu öffnen.
    Der gewaltige Schädel war nirgends zu sehen.
    Ich sprach eine der Personen auf der Straße an. Ich konnte ihr Gesicht unter der Maske nicht erkennen, aber der Figur und den langen Haaren nach zu urteilen handelte es sich um eine junge Frau. »Entschuldigung«, sagte ich. »Ich suche den Tempel der Wahrheit. Ein großes Gebäude in der Form eines Totenschädels. Mein Sohn Eric wartet dort auf mich.«
    Ich weiß nicht, welche Reaktion ich erwartet hatte. Unverständnis sicherlich, denn die Wahrscheinlichkeit, dass mir

Weitere Kostenlose Bücher