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Glanz

Glanz

Titel: Glanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Sohn«, sagte ich. »Er ist ein Krieger. Ich habe ihn zuletzt beim Tempel der Wahrheit gesehen.«
    Der Alte nickte. »Der Krieg raubt uns unsere Jugend. Er erwürgt das ganze Land.«
    »Der Krieg? Was für ein Krieg?«
    »Du musst wirklich von weit her kommen, wenn du nichts von dem Krieg weißt.«
    »Aber in der Stadt hat niemand einen Krieg erwähnt.«
    »Natürlich nicht. Darauf steht ebenfalls die Todesstrafe.«
    »Dann gehst du mit deiner Offenheit mir gegenüber ein ziemliches Risiko ein!«
    Der Alte verzog seine dünnen, aufgeplatzten Lippen zu |159| einem schiefen Lächeln. »Ich habe nicht mehr viel zu verlieren.« Er machte eine ausladende Geste. »Sieh dich um. Ich bin Bauer. Das sind meine Felder und Obstgärten. Viel zu ernten gibt es hier nicht mehr, oder? Meine Frau und meine Tochter wurden krank wie das ganze Land und sind längst tot. Ich selbst werde sicher auch bald sterben.«
    »Was ist mit dem Land passiert?«
    »Einst war das hier eine blühende Gegend. Es ging uns gut, auch wenn wir oft nicht wussten, wie glücklich wir waren. Der Krieg war fern. Hin und wieder zogen Soldaten der Königin vorbei. Wir schmückten ihre Speere mit Blumen und schenkten ihnen Früchte für den Marsch.« Seine Augen wurden glasig, als er sich an bessere Tage erinnerte. »Doch eines Tages kamen die Vögel. Tausende schwarzer Vögel. Sie ließen sich auf dem Land nieder, rissen die Halme des jungen Getreides aus, fraßen die Äpfel von den Bäumen. Wir versuchten, sie zu verscheuchen, doch vergeblich. Wir töteten viele mit Schlingen und Steinschleudern, doch für jeden toten Vogel kamen drei neue. Eine Zeitlang lebten wir von ihrem zähen, bitteren Fleisch. Doch als der letzte Halm ausgerissen, der letzte Baum verdorrt war, flogen sie davon. Seitdem haben wir nur noch ein paar Vorräte von Trockenobst. Nicht einmal mehr Wurzeln und Würmer findet man in dem grauen Staub, den die Vögel hinterlassen haben.«
    Während er erzählte, spürte ich eine tiefe Beklemmung. Diese verdammten schwarzen Vögel schienen in Erics Traumwelt allgegenwärtig zu sein. Was mochte das bedeuten? Soweit ich mich erinnerte, hatte er nie etwas gegen Vögel gehabt.
    »Weißt du, woher die Vögel gekommen sind?«, fragte ich.
    Der Alte nickte. »Man sagt, der Feind habe sie geschickt. |160| Der Krieg sei bald verloren, heißt es. Und dann werde das Land endgültig sterben.«
    Ein Schauer lief mir über den Rücken. »Der Feind? Welcher Feind?«
    »Der brennende Mann.«
    Mir wurde schwindlig. Meine Beine knickten ein. Nein, dachte ich, nein, nicht jetzt! Verzweifelt konzentrierte ich mich auf die trostlose Umgebung, auf das Haus des Alten, auf den Staub unter meinen Händen. Das Gefühl des Schwindels ließ nach.
    Der Alte beugte sich besorgt über mich. »Ist dir nicht gut? Komm herein. Ich habe nicht viel, aber ich will meine Mahlzeit gern mit dir teilen. Ruh dich erst einmal ein wenig aus!« Er half mir auf und führte mich ins Innere seiner Behausung. Sie bestand nur aus einem Raum mit einer Feuerstelle, einem groben Tisch mit vier Schemeln in der Mitte und einem Lager aus Tierfellen an der Wand. Der Alte wies mich an, mich dort hinzulegen. Er gab mir etwas zu trinken – trübes, faulig schmeckendes Wasser, das er aus einem Tonkrug in eine Schale füllte. Er entschuldigte sich dafür – der Brunnen hinter dem Haus sei fast versiegt –, aber ich war ihm trotzdem dankbar.
    Ich spürte plötzlich tiefe Erschöpfung. Der Weg durch das Labyrinth im Inneren des Schädels, mein Herumirren in der Stadt des Lächelns hatten mich an die Grenzen meiner Kräfte geführt. Ich streckte mich hin, um ein wenig auszuruhen. Ich hatte nicht vor zu schlafen, wollte noch eine Weile hier in Erics Traumwelt bleiben. Ich musste noch mehr erfahren. Doch ehe ich es verhindern konnte, fielen mir die Augen zu.

|161| 18.
    Als ich erwachte, lag ich neben Eric auf dem Bett. Er hatte die Augen geöffnet und starrte mit leerem Blick an die Decke. Emily war nirgends zu sehen. Ein Blick auf den Radiowecker zeigte mir, dass es kurz nach acht Uhr morgens war. Seit Emily und ich den Kreis geschlossen hatten, waren mehr als sechzehn Stunden vergangen. Wahrscheinlich hatte ich einen Großteil davon ganz normal geschlafen.
    Ich kämpfte die Enttäuschung darüber nieder, dass ich nicht mehr im Haus des Bauern war. Immerhin fühlte ich mich erfrischt – mein Körper hatte die Erholung gebraucht. Und ich hatte ziemlichen Hunger.
    Ich beugte mich über Eric und versenkte meinen

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