Glanz
diese zufällige Person weiterhelfen konnte, war gering.
Die Frau jedoch riss nur die Augen auf – ich konnte es durch die Sehschlitze ihrer Maske deutlich erkennen – und rannte davon. Ich sah ihr verwirrt nach. Dann bemerkte ich, dass die übrigen Passanten auf der Straße stehen geblieben waren und mich anstarrten. Einige zeigten mit dem Finger auf mich. Ihre lächelnden, reglosen Gesichter wirkten unheimlich.
»Ich suche meinen Sohn Eric, einen jungen Krieger«, rief ich. »Er trägt eine Bronzerüstung. Hat ihn vielleicht jemand gesehen?«
Ich erhielt keine Antwort. Die Menschen entfernten sich rasch von mir. Selbst die Verkäufer ließen ihre Stände im Stich. Nach wenigen Augenblicken stand ich völlig allein da.
Zwei Männer bogen um eine Straßenecke. Sie trugen Rüstungen und waren mit Speeren und Schilden bewaffnet. Auch sie hatten lächelnde Masken aufgesetzt.
Ich ging auf sie zu. Da sie ebenso wie Eric Soldaten waren, konnten sie mir vielleicht etwas über ihn sagen.
|148| Doch die beiden waren ebenso wenig bereit, meine Fragen zu beantworten. Sie senkten ihre Speere und bedrohten mich damit. »Du hast gegen das königliche Gebot der Glückseligkeit verstoßen, Frau«, sagte einer der beiden. Seine Stimme klang gezwungen fröhlich, als versuche er, gute Laune auszustrahlen, die er nicht empfand. »Wage es nicht zu fliehen, oder wir müssen dich töten!«
Während der eine mich mit dem Speer bedrohte, fesselte der andere meine Hände mit einem groben Strick auf den Rücken. Ich wehrte mich nicht – teils aus Furcht vor den Folgen, teils, weil ich neugierig war, wohin mich diese Wendung des Spiels tragen würde.
Der Soldat legte mir ein zweites Seil in einer Schlinge um den Hals und zog sie fest, so dass mir der Hals eingeschnürt wurde und ich kaum atmen konnte. Daran zerrte er mich die Straße entlang wie ein Stück Schlachtvieh.
|149| 17.
Wenn wir an Menschen vorbeikamen, hielten diese in ihren Bewegungen inne und starrten mich stumm mit ihren lächelnden Masken an, als wollten sie mich verhöhnen. Manche schüttelten die Köpfe. Ich setzte ein trotziges Gesicht auf. Das schien sie zu erschrecken, denn viele wandten ihre maskierten Gesichter ab.
Wir gelangten auf einen großen, mit rechteckigen Steinplatten gepflasterten Platz. In der Mitte ragte die überlebensgroße Statue einer Frau auf. Sie trug ein weites wallendes Gewand und hielt die Hände in den Himmel gereckt. Ihr Mund war zu einem glücklichen Lächeln verzogen. Ihre Augen bestanden aus zwei großen Edelsteinen, die hellblau glitzerten. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, doch ich konnte nicht sagen, an wen sie mich erinnerte.
Auf der anderen Seite des Platzes erhob sich ein großer Palast. Breite Treppen führten zu einem riesigen Säulenportal. Wir traten hindurch und gelangten in eine große Halle. Durch Fenster hoch oben fiel Licht auf bunte Mosaike, die Boden, Wände und die kuppelförmige Decke verzierten. Sie zeigten blühende Landschaften, Menschen, die auf den Feldern goldene Getreideähren ernteten, Bäume voller Früchte, Wälder mit Hirschen und Wildschweinen darin. In der Mitte des Bodens war ein rundes, lächelndes Gesicht zu sehen. Strahlen umgaben es, so dass es wie eine kindliche Darstellung der Sonne wirkte.
Die Soldaten führten mich durch eine riesige eisenbeschlagene Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Dahinter |150| befand sich ein noch größerer, langgestreckter Saal, dessen Decke von hohen Säulen getragen wurde. Im Unterschied zum Vorraum waren hier die Wände nicht geschmückt. Dennoch strahlte der Raum die ehrfurchtgebietende Würde einer Kathedrale aus. An seinem fernen Ende stand ein Podest mit einem großen Marmorthron. Darauf saß eine Gestalt, die vollkommen von einem weißen Gewand verhüllt war.
Zu Füßen des Throns standen mehrere maskierte Männer in bunten Roben. Sie wandten sich uns zu, als wir den Gang zwischen den Säulen entlangschritten.
Ein Mann in einem besonders prächtigen, rot und golden glänzenden Gewand reckte seine Hände empor, als breche er in Jubel aus. »Heiterkeit sei mit euch«, rief er aus. Er klang gequält wie ein Clown mit Magenproblemen. »Welch glückliche Fügung bringt diese Frau zu uns?«
Wir hielten in respektvollem Abstand vor dem Thron an. Der Soldat, der mich hergeführt hatte, zerrte brutal am Strick um meinen Hals und zwang mich auf die Knie. »Sie hat das Gebot der Fröhlichkeit missachtet«, sagte er, wobei er offensichtlich große Mühe hatte,
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