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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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nicht alles ist, was ich empfinde, denn es ist nicht die Wut, die man einem Fremden oder Feind entgegenbringen mag. Zweitens: Zwar habe ich wie verrückt trainiert und bin jetzt in sehr viel besserer körperlicher Verfassung als bei meiner Ankunft, aber auch Sam steht in Saft und Kraft, und er ist etwa dreißig Zentimeter größer als ich und dreißig Kilogramm schwerer, da er ein Mann und wie ein Panzer gebaut ist. Drittens: Vielleicht ist es nicht sonderlich klug von mir, mich über einen Mann aufzuregen und ihn anzubrüllen, der so viel größer und kompakter ist als ich und derzeit aufgrund wiederholter schlimmer Erfahrungen unter Schock steht. Aber all das ist mir völlig egal.
    »* * *«, murmelt er.
    »Was?« Ich starre ihn an.
    »Würdest du das bitte wiederholen?«
    »* * *«, sagt er so leise, dass ich es wegen des Blutandrangs in meinem Ohr nicht verstehen kann. »Nur deshalb hab ich mich nicht umgebracht.«
    Ich schüttle den Kopf. »Ich glaube, ich kann dich nicht richtig hören.«
    Er sieht mich finster an. »Für was hältst du dich eigentlich?«
    »Kommt drauf an. Vor langer Zeit war ich Geschichtsforscher. Dann kamen die Kriege, und ich wurde Soldat. Danach diente ich in einer Position in der Armee, bei der die Geschichtswissenschaft Voraussetzung war. Und schließlich verlor ich mein Gedächtnis.« Ich erwidere seinen finsteren Blick. »Und jetzt bin ich eine dumme, nichtsnutzige Hausfrau und Teilzeitbibliothekarin, okay? Aber eins kann ich dir sagen: Eines Tages werde ich wieder Soldat sein.«
    »Das alles sind doch nur äußere Umstände, die dich nicht als Person ausmachen. Du willst mir nichts sagen! Woher stammst du? Hattest du jemals eine Familie? Was ist mit ihr passiert?«
    Er wirkt beunruhigt, und plötzlich merke ich, dass ich ihm unheimlich bin. Unheimlich? Ich? Und dann wird mir klar, wie mein Gesicht im Moment wohl aussehen muss, und es kommt mir so vor, als wäre mir das Blut in den Adern gefroren, denn seine Frage hat eine ganz bestimmte Erinnerung an die Oberfläche gespült. Ich glaube, es ist eine jener Erinnerungen, die mein früheres Selbst vor dem Eingriff bewusst begraben wollte - in dem Wissen allerdings, dass sie eines Tages wieder auftauchen würde. Zwar tat das Vergessen weh, doch viel schlimmer wäre die Alternative gewesen: Ein brutaler chirurgischer Eingriff hätte diese Erinnerung womöglich für alle Zeiten ausgelöscht. Schwerfällig lasse ich mich auf die Bank fallen und wende den Blick von Sam ab, denn ich möchte kein Mitgefühl in seinen Augen entdecken.
    »Sie sind alle im Krieg gestorben«, höre ich mich hölzern erwidern. »Und ich möchte nicht darüber reden.«

    Während ich schlafe, sucht mich eine weitere Horrorgeschichte aus dem Fundus meiner unterdrückten Erinnerungen heim. Diesmal weiß ich jedoch, dass sie authentisch, wahr, mir wirklich passiert ist, und ich kann keine Einzelheit an dieser Geschichte ändern - genau deshalb ist sie ja wie ein Albtraum.
    Das Ende ist bereits geschrieben, und es ist kein glückliches.
    In diesem Traum bin ich ein graziler orthohumaner Mann mit langem, wallendem, grünem Haar und einem Lachen, das meine Partner als reizend bezeichnen. Ich bin sehr viel jünger als jetzt, kaum drei Gigs alt, und glücklich, zumindest am Anfang. Ich lebe in einer stabilen Familienbeziehung mit drei Kernpartnern, außerdem habe ich hin und wieder kurzzeitige Affären - insgesamt mit fünf oder sechs Personen -, bei denen es eigentlich nur ums Ficken geht. Wir alle sind bisexuell, entweder von Natur aus oder weil wir Merkmale der Menschenaffenart Bonobo in unser limbisches System kopiert haben. Meine Familie hat zwei Kinder, und wir denken derzeit daran, uns in etwa einer halben Gigasekunde zwei weitere anzuschaffen. Ich habe das Glück, einer anspruchsvollen Beschäftigung nachgehen zu können: Ich erforsche die Geschichte der Theory of Mind . Dieser Aspekt kultureller Denkweisen erlangte erst nach der Beschleunigungsphase Bedeutung und kommt immer mal wieder in Mode, um genauso schnell wieder in Vergessenheit zu geraten, doch ich halte ihn für überaus wichtig. Beispielsweise zeigt uns die Geschichte meines Forschungsgebiets, dass während der Zeit, die man früher als das dreiundzwanzigste Jahrhundert bezeichnete, der Großteil der Menschheit im Exil fast eine Gigasekunde lang aus Zimbos bestand, nur scheinbar mit eigenem Bewusstsein begabten, ferngesteuerten Wesen, die unter der Ägide eines übergeordneten Verstandes arbeiteten. Wie

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