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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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das geschehen konnte und auf welche Weise diese Diktatur über Bewusstsein und Wahrnehmung gestürzt wurde, erforsche ich mit großem Interesse und unternehme dazu auch zahlreiche Studienreisen zu alten Tempeln der Erinnerung.
    Eine dieser Studienreisen ist auch der Grund dafür, dass ich nicht zu Hause bei meiner Familie bin, als Curious Yellow aus dem Nirgendwo losbricht, große Teile der Geschichte löscht und eine ganze interstellare Zivilisation in Mitleidenschaft zieht, darunter, um auf Persönliches zu sprechen zu kommen, auch meine Familie.
    Als Curious Yellow zum ersten Mal in Erscheinung tritt, weile ich (nicht virtuell, sondern in physischer Gestalt) auf einem Mobilen Archiv-Einspeiser. Der MAE ist ein schwerfälliges Sternenschiff, eigentlich ein mobiles, zylindrisches Habitat, von Plasma angetrieben, das mittels eines T-Tors aus dem Inneren eines fernen A0-Superriesen gepumpt wird. Mit niedrigen relativistischen Geschwindigkeiten treibt es zwischen Sternsystemen aus Braunen Zwergen dahin, die in dieser Region der Galaxie nicht einmal ein Parsek voneinander entfernt liegen.
    Während der Pausen zwischen den Begegnungen vor Ort, die mehrere Gigasekunden betragen können, zieht sich die Mannschaft in vorgegebene schematisierte Back-ups zurück und wird von den Assemblern des Raumschiffs erst dann wieder reinkarniert, wenn die Situation interessant zu werden verspricht. Das Schiff kann sich weitgehend selbst versorgen und warten (mal abgesehen von der Pumpe, mit der es Plasma vom Superriesen abzapft, und einem streng durch Firewalls gesicherten T-Tor, das zu den Gebäuden des Forschungsinstituts führt, in dem dieses Schiff vor Jahrhunderten entwickelt und konstruiert wurde). Seine internen Systeme sind völlig vom Netz des größeren Gemeinwesens abgekoppelt, denn es wurde für eine Mission geschaffen, die bis zu einer Terasekunde dauern kann. Und von Anfang an hat man einkalkuliert, dass die Zivilisation zumindest einmal innerhalb der Betriebszeit dieses Schiffes zusammenbrechen könnte. Deshalb bin ich nicht über Netz, sondern persönlich hierhergegangen, um mit Vecken zu reden, dem Schiffskapitän, der schon kurz nach der Diktatur über Wahrnehmung und Bewusstsein gelebt hat und sich vielleicht noch an manche der Überlebenden erinnert.
    Eine Sache an diesem Traum ist wirklich merkwürdig: Ich kann mich nicht an die Gesichter meiner Familie erinnern. Ich weiß noch, dass Lauro, Iambic-18 und Neual mir nicht nur wichtig, nicht nur geliebte Menschen waren, sondern auf sehr reale Weise meine Persönlichkeit definierten. Ein großer Teil meines Identitätsgefühls basierte auf der Tatsache, dass ich nicht als Einzelner, sondern als Teil einer Gruppe lebte. Gemeinsam hatten wir unsere Neuroendokrinologie einander so angepasst, dass schon das Zusammensein mit den anderen bei jedem zu einer leichten Ausschüttung von Endorphinen führte - in früheren Zeiten war das ein eher zufälliger Prozess, den man »sich verlieben« nannte. Und wir verlegten uns auf Interessen, Fertigkeiten und Beschäftigungen, die einander wunderbar ergänzten. Was wir darstellten, war eher ein kollektiver Organismus als eine Familie, und das empfanden wir als eine erfüllende, glückliche Lebenssituation. Vorher habe ich vermutlich ein einsameres Leben geführt, aber daran kann ich mich kaum noch erinnern. Wahrscheinlich liegt das daran, dass es im Vergleich zu diesem erfüllten Leben zur Bedeutungslosigkeit verblasst ist.
    Aber ich kann mich nicht an ihre Gesichter erinnern, und selbst jetzt - eine Lebensspanne, nachdem der Kummer sich nach und nach gelegt hat - nagt das an mir.
    Neual war schnell mit Händen und Füßen, hatte einen Hang zum Sarkasmus und ein klammheimliches Vergnügen daran, mich aufzuziehen. Lauro hatte perfekte Umgangsformen, vergaß sie aber, wenn er sexuell mit uns verkehrte. Iambic-18 war eine radikale Anhängerin fremdartiger Körperformen und manifestierte sich hin und wieder, wenn sie gerade die Lust dazu überkam, in mehr als einem Körper. Unsere Kinder …
    Sind alle tot, und das ist fraglos meine Schuld. Curious Yellow hat die Eigenschaft, sich unmerklich zwischen A-Toren zu verbreiten und dabei ein Peer-to-Peer-Netzwerk zu schaffen, in dem die verbundenen Rechner gleichberechtigten Zugriff auf die anderen Rechner des Netzwerks haben. Dieses Netzwerk tauscht steganographisch getarnte Instruktionen aus, indem es Menschen als Datenpakete benutzt. Falls jemand das Unglück hat, infiziert zu sein,

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