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Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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geführt hat. Niemand weiß, warum. Manche Leute nehmen an, dass es sich um eine Berichterstattung für die Erzeuger von Curious Yellow gehandelt hat. Jedenfalls habe ich mir die Terahertz-Radarkarten, die zeigen, wie die Angriffsdrohnen meine Familie und meine Kinder verspeisen, so oft angesehen, dass sich mir die Bilder tief eingebrannt haben. Ich bin einer der wenigen Überlebenden von Millionen, die als Feinde aus Fleisch und Blut aufs Korn genommen wurden, weil man sie lieber vernichten als neu editieren wollte.
    Und jetzt kommt es mir so vor, als sähe ich das alles zum ersten Mal wieder. Nochmals durchlebe ich das ganze entsetzliche Geschehen, das mich dazu brachte, die Linebarger Cats flehentlich um Aufnahme in ihre Reihen und die Verwandlung in einen Panzer zu bitten. (Doch das war eine halbe Gigasekunde später, als die Grateful for Duration Kontakt mit einem der isolierten Widerstandsnester aufnahm.)

    Ich merke, dass ich jetzt wach bin, und es ist immer noch Nacht. Die im Schlaf vergossenen salzigen Tränen haben juckende Spuren auf meinen Wangen hinterlassen. Ich liege in unbequemer Haltung da, nahe am Bettrand. Um meine Taille ist ein Arm geschlungen und an meinem Nacken spüre ich leisen Atem. Einen Moment lang werde ich nicht schlau daraus, doch bald darauf kann ich’s mir zusammenreimen. »Ich bin jetzt wach«, murmle ich.
    »Oh. Gut.« Er klingt verschlafen. Wie lange ist er schon hier? Ich bin allein zu Bett gegangen - plötzlich gerate ich bei dem Gedanken, dass er ohne meine Erlaubnis hier ist, in Panik. Aber ich will nicht allein sein, jetzt nicht.
    »Hast du geschlafen?«, frage ich.
    Er gähnt. »Muss wohl. Bin eingedöst.« Als sein Arm sich anspannt, spanne ich mich ebenfalls an und schmiege mich wieder in die Kurve seines Brustkorbs und der Beine. »Du warst unglücklich.«
    »Ging um das, was ich dir vorhin nicht erzählt hab.« Und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, ihn einzuweihen. »Um meine Familie. Curious Yellow hat sie umgebracht.«
    »Was? Aber Curious Yellow hat die Menschen doch nicht umgebracht, sondern nur der Zensur unterworfen …«
    »Das galt nicht für alle.« Ich lehne mich gegen ihn. »Die meisten Leute hat es nur neu editiert. Aber manche von uns hat es auch zur Strecke gebracht und ermordet. Diejenigen, die möglicherweise herausgefunden hätten, wer CY in die Welt gesetzt hat, glaube ich.«
    »Das wusste ich nicht.«
    »Es wissen auch nur wenige. Entweder war man unmittelbar betroffen, und in diesem Fall wahrscheinlich tot, oder es stieß jemand anderem zu, und dann war man allzu sehr damit beschäftigt, das eigene Leben wiederaufzubauen. Und damit, das eigene, winzige, kämpfende, durch Firewalls geschützte Gemeinwesen nach Möglichkeit wieder zum Laufen zu bringen - ohne Unterstützung durch all die externen Inputs, für die früher die restliche Republik Is gesorgt hat. Und eine Gigasekunde nach Kriegsende war das sowieso schon Schnee vom vergangenen Jahr.«
    »Aber nicht für dich.«
    Ich kann Sams Anspannung durch den Arm hindurch spüren, den er um mich geschlungen hat.
    »Hör zu, ich bin müde und möchte mich nicht noch einmal damit befassen. Das sind alte Wunden, klar?« Ich versuche mich zu entspannen und schmiege mich an seinen Körper. »Ich habe mir die Gewohnheiten eines Einzelgängers zugelegt. Während des Krieges hatte es keinen Wert, jemandem zu nahe zu kommen. Und seitdem hatte ich keine Gelegenheit mehr dazu.«
    Er atmet tief und gleichmäßig. Vielleicht ist er schon wieder eingeschlafen. Ich schließe die Augen und versuche es ihm nachzutun, doch ich brauche lange, um einzudösen. Unwillkürlich frage ich mich, wie sehr er menschlichen Kontakt vermisst haben muss, wenn er dafür sogar in Kauf genommen hat, nochmals das Bett mit mir zu teilen.

11
    im verborgenen
     
     
     
    MONTAG IST EIN ARBEITSTAG, und normalerweise bin ich da auch mit den Frauen zum Mittagessen verabredet, aber nach den gestrigen Ereignissen bin ich nicht bereit, mit Jen das Brot zu teilen. Mit dem in meiner gut gesicherten Schultertasche verborgenen Messingschlüssel mache ich mich auf den Weg zur Arbeit. Nach meiner Ankunft beginne ich unverzüglich damit, die zurückgegebenen Bücher einzusortieren und die Regale zu putzen. Erst mitten am Vormittag fällt mir auf, dass Janis immer noch nicht aufgetaucht ist.
    Hoffentlich fehlt ihr nichts. Ich kann mich nicht daran erinnern, sie gestern gesehen zu haben, aber falls sie gehört hat, was

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