Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Glashaus

Titel: Glashaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
dass das da drüben ein Generator samt Zubehör für eine Biffe Klinge ist, wie ich sie auch auf dem Kirchenaltar entdeckt habe. Das beschwört unangenehme Erinnerungen herauf, denn ich weiß noch sehr wohl, was man mit diesen Schwertern anstellen kann. Als ich mir das Blut vorstelle, das in hohem Bogen in einen Raum schießt, in dem die kopflosen Leichen bereits wie Klafterholz neben dem Evakuierungstor aufgestapelt sind, wird mir beinahe übel. Hastig atme ich tief ein und sehe zu den Regalen auf der anderen Seite des Kellerraums hinüber. Es sind sehr viele, manche davon zugestellt mit den seltsamen rechteckigen Kästen der Kompaktspeicher, doch den meisten Platz nehmen Ringordner voller Papiere ein. Diese Akten sind auf dem Rücken nicht mit Seriennummern gekennzeichnet, sondern tragen altmodische, für Menschen lesbare Beschriftungen, aus denen ich allerdings nicht recht schlau werde. Was, zum Beispiel, bedeutet Überarbeitetes Protokoll 4.0 der Zimbardo-Studie ? Oder Delta-Koeffizienten der kirchlichen Moralskala ? Und Erweiterte Kriterien für die Auswahl von Wirtspersonen ?
    Kriterien für die Auswahl von Wirtspersonen? Ich ziehe den Ordner aus dem Regal und beginne zu lesen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als ich mich schüttle und den Ordner zurückstelle. Ich fühle mich wie besudelt oder kontaminiert. Mir wäre es wirklich lieber, ich hätte nicht begriffen, worum es dabei geht; doch ich fürchte, ich habe es nur allzu gut kapiert. Und jetzt werde ich überlegen müssen, was ich mit diesem Wissen anfange.
    Ich starre auf das A-Tor und denke nach. Gut möglich, dass dieser Assembler nicht mit Curious Yellow infiziert ist, denn die Versuchsleiter wollen wohl kaum riskieren, sich selbst anzustecken. Dennoch wird mir dieses Tor nicht zur Flucht verhelfen. Und ich könnte es wahrscheinlich sowieso nicht in Betrieb setzen, es sei denn, ich halte Fiore, metaphorisch gesprochen, eine Waffe an den Kopf und bedrohe ihn mit etwas, das noch beängstigender ist als die Aussicht auf Yourdons Rache - und wenn ich Yourdon richtig einschätze, wäre jede von ihm ausgetüftelte Rache schlimmer als der Tod.
    Mist. Ich muss weiter darüber nachdenken. Aber wenigstens bleibt mir Zeit bis morgen, bis zu Fiores angekündigtem Besuch in der Bücherei.

    In der Bibliothek tut sich an diesem Tag buchstäblich überhaupt nichts. Nachdem ich nach oben zurückgekehrt bin und das Archiv abgeschlossen habe, drehe ich das Türschild wieder auf GEÖFFNET, setze mich zwei Stunden an den Empfangstresen und warte angespannt. Es kann ja sein, dass die Zombies mich demnächst abholen kommen und ins Gefängnis abschleppen. Doch es passiert nichts. Die Lektüre, die ich mir für die Mittagspause ausgewählt habe, hat keinen Alarm ausgelöst. Im Nachhinein betrachtet, ist das auch nicht sonderlich überraschend. Wenn es einen Ort gibt, den Fiore, Yourdon und die mysteriöse Hanta nicht überwachen lassen wollen, muss es der Schlupfwinkel sein, in dem sie die Hilfsmittel für ihr Experiment verstecken. Ihre Spezies gedeiht nicht im Flutlicht allgegenwärtiger Überwachung. Zufällig kommt mir da eine Idee.
    Mitten am Nachmittag schließe ich für eine halbe Stunde ab und gehe zum nächsten Elektroladen, um mir ein Gerät zu besorgen, das meinen Zwecken dienlich sein kann. Anschließend verbringe ich, ziemlich nervös, eine Stunde damit, es im Keller zu installieren. Danach bin ich sehr zufrieden mit mir. Falls das Ding funktioniert, werden Fiore und Yourdon ihre Quittung dafür bekommen, dass sie allzu vertrauensselig waren. Und dafür, dass sie diese bizarre Simulation allzu realistisch gestaltet haben.
    Da sich in der Bücherei nichts tut, gehe ich eine halbe Stunde früher nach Hause. Es ist ein warmer Sommerabend, sodass ich die rund zwei Kilometer gern zu Fuß zurücklege. Ich begegne kaum einem Menschen. Zwar sind einige Parkwärter draußen, die das Gras mähen, aber sonst niemand. Hab ich übersehen, dass heute ein Feiertag ist? Keine Ahnung. Ich setze einen Fuß vor den anderen, bis ich die Straße erreiche, die aus dem Stadtkern herausführt, folge ihr durch einen kurzen Tunnelabschnitt, gelange wieder ans Tageslicht und zu einer stillen, von Bäumen gesäumten Straße, die durch ein Wohngebiet führt. An einer Seite fließt ein träges Bächlein, in dem das Wasser fast stillsteht.
    Aus einem der Gebäude, die ich passiere, dringen Stimmen und ein schwacher Essensgeruch. Also sind die Bewohner zu Hause, und ich bin nicht

Weitere Kostenlose Bücher