Glashaus
Yourdon, Fiore und Hanta, weiter über das T-Tor. Und ihre Komplizen da draußen werden nicht zögern, alle bei ihnen gespeicherten Kopien von uns zu löschen. Vielleicht werde ich dann zu einem Teil der Geschichte, ein staubtrockenes Studienobjekt, falls es je wieder eine Generation von Geschichtsforschern geben sollte.
Und falls es mir irgendwie gelingt zu überleben, werde ich für die kommenden drei - natürlichen - Lebensspannen eine Gefangene im Glashaus sein.
Ich habe gemischte Gefühle bei diesen Gedanken. Wenn ich früher in den Kampf zog, hat mir das Sterben kein Kopfzerbrechen bereitet, soweit ich mich erinnere. Aber damals war ich auch kein Mensch, sondern ein Panzerbataillon. Gestorben wäre ich wahrscheinlich nur, wenn unsere Seite den ganzen Krieg verloren hätte.
Aber jetzt habe ich Sam. Und der Gedanke daran, dass Sam in Gefahr ist, macht mich fertig, während die Vorstellung, dass wir beide auf Gedeih und Verderb dieser Clique ausgeliefert sind, mir auf andere Weise ein schlimmes Gefühl gibt.
Beuge den Kopf, kapituliere, und alles wird gut. Das ist der Widerhall ihrer persönlichen Entscheidung, der jetzt erneut durchdringt, um in meinem Kopf herumzuspuken. Ich habe ihr doch eine Abfuhr erteilt, oder nicht? Aber sie ist ein Teil von mir, von dem ich mich nicht lösen und vor dem ich nicht flüchten kann. Niemals werde ich dem Wissen entkommen können, dass ich seinerzeit kapituliert habe …
Wie mir klar wird, hat auch Sanni kapituliert. Nicht Yourdon und Fiore gegenüber, sondern am Ende des Krieges. Sie will nicht mehr kämpfen. Sie will sich zur Ruhe setzen, Kinder aufziehen und als Kleinstadtbibliothekarin arbeiten. Janis ist jetzt die echte Sanni, sofern es eine echte Sanni überhaupt geben kann. Die verbrecherische Clique mag das Glashaus unterwandert und pervertiert haben, dennoch übt es in psychologischer Hinsicht weiter einen Reiz aus, der uns nicht unberührt lässt. Vielleicht hat Sanni mit ihren Worten genau das gemeint. Keiner von uns ist so, wie er früher einmal war, auch wenn unsere Geschichte nach wie vor nicht auszulöschen ist. Wenn ich mir vorzustellen versuche, wie ich auf die Zivilisten in jenen Habitaten gewirkt haben muss, die wir mit einem Handstreich erobert haben, ist da nur ein blinder Fleck. Ich weiß, ich muss sie zu Tode geängstigt haben, aber innerhalb des Panzers und hinter den Geschützen war ich immer noch ich selbst, oder nicht? Doch wie hätten sie das wissen sollen? Egal, jetzt ist es vorbei, und ich muss damit leben, wie wir ja alle damit leben mussten. Damals haben wir das als unumgänglich empfunden. Man musste ja kämpfen, sofern man verhindern wollte, dass eine barbarische Software einem die Erinnerungen zensierte oder, noch schlimmer, skrupellose Opportunisten einem den Wurm als Trojaner einpflanzten. Und wenn man sich erst einmal zum Kampf entschließt, muss man mit den Konsequenzen leben. Doch der Unterschied zwischen uns und Yourdon, Fiore und Hanta liegt darin, dass wir uns Selbstzweifel zugestehen, loslassen möchten, während ihr Kampfziel darin besteht, ihren Gegnern erneut Kriege aufzuzwingen. Und ihre Gegner sind wir.
Es ist nicht gut, in dieser Situation an solche Dinge zu denken. Es sind geradezu morbide Gedanken, auf die ich gern verzichten würde, aber sie wollen nicht weichen. Ich bemühe mich, sie in den Griff zu bekommen, indem ich im Laufen die Tasche schwenke und eine fröhliche Melodie pfeife. Dabei versuche ich mich von außen zu sehen: Hier spaziert eine gut gelaunte Bibliothekarin die Straße entlang, vom Äußeren her eine junge Frau im Sommerkleid, die ihre Schultertasche in der Hand hält und vor sich hin pfeift, während sie am Ende eines Arbeitstags nach Hause zurückkehrt. Aber wenn man das Bild von außen nach innen stülpt, sieht man einen von Albträumen verfolgten ehemaligen Soldaten mit einer Werkzeugtasche, in der eine Maschinenpistole verborgen ist. Und dieser Mensch schleicht sich ein letztes Mal in seine Unterkunft, ehe …
Hör mal, lass das einfach, ja?
Ist besser so.
Als ich nach Hause komme, verstaue ich die Tasche in der Küche. Im Wohnzimmer läuft der Fernseher, also ziehe ich die Schuhe aus und schlurfe hinüber.
»Sam.«
Er liegt auf dem Sofa, hat sich wie üblich vor dem flackernden Bildschirm zusammengerollt, in der Hand die Bierdose. Als ich eintrete, blickt er auf.
»Sam.« Als ich mich zu ihm aufs Sofa setze, merke ich schnell, dass er dem Programm eigentlich gar nicht zusieht. Stattdessen
Weitere Kostenlose Bücher