Glashaus
sind seine Augen auf die Terrasse vor den Glastüren gerichtet, während er langsam und gleichmäßig atmet und der Brustkorb sich stetig hebt und senkt. »Sam.«
Nachdem sein Blick zu mir gehuscht ist, verzieht er die Mundwinkel nach oben. »Hast du Überstunden gemacht?«
»Nein, bin zu Fuß gegangen.« Ich ziehe die Füße an, sodass sie in den weichen Sofakissen verschwinden, lehne mich an ihn und lasse meinen Kopf an seine Schulter fallen. »Ich wollte mich irgendwie mit der Welt …«
»… verbunden fühlen.«
»Ja, das trifft’s genau.« Ich kann seinen Puls spüren, und sein tiefer Atem streicht wie ein leiser Wind über die Wurzeln meiner Welt. »Ich hab dich vermisst.«
»Ich dich auch.« Seine Hand berührt meine Wange und gleitet nach oben, um mir das Haar aus der Stirn zu streichen.
In Augenblicken wie diesen hasse ich es, ein Wesen in natürlicher, unveränderter menschlicher Gestalt zu sein - eine Insel, die aus einem schwabbeligen, in einem Knochenpanzer gefangenen Gehirn besteht, unzählige Millisekunden von denen, die sie liebt, entfernt. Gezwungen, alles, was ich ausdrücken will, durch einen Sprachkanal mit niedriger Bandbreite herauszuquetschen. Alle Menschen sind Inseln, umgeben von den unergründlichen Meeren der gedankenlosen Dunkelheit. Wenn ich nur die Hälfte dessen wäre, der ich früher einmal war, und frei über meine damaligen Möglichkeiten verfügen könnte - und wenn auch Sam, wenn Kay es wollte -, könnten wir beide unser Ich vervielfältigen. Und dann würden wir einander tausendmal gründlicher kennenlernen, als es dieser plumpe, serienmäßig hergestellte menschliche Körper zulässt. Es tut weh zu wissen, was uns abhandengekommen ist und was wir miteinander hätten teilen können, doch diese Bitterkeit löst nur noch heftigeres Begehren in mir aus. Nervös rutsche ich hin und her und umfasse seine Taille. »Was hat dich so lange beschäftigt?«
»Ich bin dabei davonzulaufen.« Endlich wendet er den Kopf, um mich von der Seite anzusehen. »Vor mir selbst.«
»Ich auch«, erwidere ich und schreibe alle Vorsicht in den Wind. »Ist das Teil deines Problems? Des Problems mit … dieser Existenz?«
»Es kommt dem zu nahe«, er schluckt, »was die aus mir machen wollten.«
Ich frage nicht, wer die sind. »Möchtest du flüchten? Das Gemeinwesen verlassen?«
Er schweigt lange. »Ich glaube nicht«, erwidert er irgendwann. »Denn dann müsste ich wieder etwas darstellen, was ich nicht sein will, falls du verstehst, was ich meine. Kay war eine Verkleidung, Reeve, eine Maske. Eine Frau, die innerlich hohl war. Keine reale Person.«
Ich schmiege mich enger an ihn. »Ich weiß aber, dass du in diese Person hineinwachsen wolltest.«
»Ach ja?« Er zieht eine Augenbraue hoch.
»Hör mal, warum bin ich denn deiner Meinung nach hier?«
»Ins Schwarze getroffen.« Sofort wirkt er betreten. »Möchtest du hier weg?«
In Wirklichkeit reden wir gar nicht darüber, ob wir hierbleiben oder fortgehen möchten, das versteht sich von selbst. Eigentlich will er fragen, ob … »Ja, das hab ich gedacht«, gebe ich zu und spiele mit seinen vorderen Hemdknöpfen. »Und dann hat Dr. Hanta mir den Kopf zurechtgesetzt, und ich hab gemerkt, dass ich in Wirklichkeit einen Ort suche, wo ich innerlich heilen und ich selbst sein kann. Dass ich mich nach einer Gemeinschaft sehne. Nach Frieden.« Als ich meine Hand in sein Hemd gleiten lasse, atmet er ein bisschen schwerer, was mich dazu bringt, die Oberschenkel zusammenzukneifen. »Und nach Liebe.« Ich halte kurz inne. »Wohlgemerkt nicht unbedingt nach dem, was Hanta sich unter all dem vorstellt.« Eine seiner Hände streichelt mein Haar, während die andere … »Mach noch ein bisschen weiter.«
»Ich habe Angst, Reeve.«
»Dann sind wir schon zwei.«
Und später: »Was du da beschreibst, möchte ich auch.«
»Dann sind wir schon zwei«, wiederhole ich keuchend. »Oh!«
»Liebe.«
Und wir setzen unser Gespräch ohne Worte fort, benutzen eine Sprache, die ein nicht-menschlicher Beobachter, eine Künstliche Intelligenz nicht deuten könnte - eine Sprache der Berührungen und Zärtlichkeiten, die so alt ist wie die menschliche Gattung. Was wir einander mitteilen, ist eine einfache Botschaft: Hab keine Angst, ich liebe dich. Wir sagen es drängend und mit Nachdruck, und unsere Körper übernehmen es dabei, einander stillschweigend Mut zuzusprechen. Während wir uns in der Dunkelheit dieser Nacht umklammern, räume ich mir die Hoffnung ein, dass
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