Glashaus
Kopfschüttelnd gehe ich nach oben, um hinter dem Empfangstresen zu warten.
Ein paar Minuten später tauchen Martin und Liz zusammen auf, die ich gleich in den Keller schicke. Allmählich mache ich mir Sorgen, wo Greg bleibt, denn die Zeit wird uns knapp. Inzwischen ist es schon 10 Uhr 42, die Versammlung wird in rund einer Kilosekunde beginnen. »Warum kommst du so spät?«, begrüße ich ihn.
»Ich fühle mich mies.« Ich glaube, er hat getrunken. »Konnte nicht richtig schlafen. Also, bringen wir’s hinter uns, wie?«
»Tja.« Ich deute zum Keller. »Die Bande ist dort unten.«
Noch zehn Minuten bis zum Ende des Countdown. Die Tür geht auf: Janis kommt nach oben. »Okay, ich geh jetzt und eröffne die Show im Festsaal.« Wie eine Todgeweihte lächelt sie mir zum Abschied zu. »Viel Glück.«
»Dir auch.« Als sie sich vorbeugt, umarme ich sie kurz. Gleich darauf ist sie verschwunden, geht den kurzen Weg von der Bücherei zum Rathaus hinüber.
»Wo ist Sam?«, frage ich.
»Oh, er hatte da unten noch etwas Außerplanmäßiges zu erledigen«, erwidert Liz leicht verächtlich, »Zu guter Letzt hat ihn wohl doch noch das Lampenfieber erwischt.« Kurz darauf taucht er auf. »Komm schon, Sam, willst du die Show verpassen?«, fragt Liz.
»Zeit zu gehen«, mahne ich.
Bruchstücke der Erinnerung, die an einem Punkt zusammenlaufen: Fünf von uns, drei Männer und zwei Frauen, gehen entlang der Hauptstraße aufs Rathaus zu. Alle in ihrem Sonntagsstaat, an dem sie leichte Veränderungen vorgenommen haben: Sam trägt heute eine Weste, ich andere Schuhe als sonst, Martin eine Tasche. Im linken Ohr summen bei uns allen die unauffälligen Empfänger, am Kinn sitzen fleischfarbene kleine Mikros - alles sehr professionell.
»Taucht in der Menge unter. Wenn die Leute auf die Saaltüren zugehen, wendet euch bei der Tür mit dem Schild NOTAUSGANG nach links. Wir treffen uns auf der anderen Seite.«
Zielgerichtetes Handeln. Anspannung. Herzklopfen. Nervosität. Das schwache Aroma von Mineralöl an meinen Fingerspitzen. Erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit, wie üblich in solchen Situationen.
Die Scharen und Pfarrgemeinden der Normalbürger - der Gefängnisinsassen - sammeln sich auf der vorderen Treppe und in der offenen Empfangshalle des größten Gebäudes an der Hauptstraße. Manche Leute erkenne ich wieder, aber die meisten habe ich noch nie gesehen.
Als Jen, die aus der Menge herausragt, lächelnd zu mir herüberkommt, erstarre ich innerlich. »Reeve! Ist das hier nicht toll?«
»Ja, wirklich toll«, sage ich ein wenig zu kühl, da sie mich mit zusammengekniffenen Augen fixiert.
»Ich bitte vielmals um Entschuldigung .« Sie macht auf dem Absatz kehrt, als wollte sie gehen, bleibt aber stehen. »Ich dachte, du würdest ein solches Ereignis feiern.«
»Tu ich ja auch.« Ich sehe sie mit hochgezogener Braue an. »Du etwa nicht?«
»Ha!« Mit verächtlichem Grinsen wirbelt sie davon und hängt sich an den Arm von Chris. Zwar perlt von meinem Rücken kalter Schweiß, aber vor allem bin ich erleichtert, dass ich ungehindert und unauffällig auf den Notausgang zusteuern kann, der glücklicherweise nahe bei den Toiletten liegt. Ich bleibe kurz stehen, um mich umzusehen und einen Blick auf die Uhr zu werfen (noch drei Minuten bis zum Losschlagen). Danach lehne ich mich auf die Metallstange des Notausgangs. Als die Tür ächzend aufgeht, trete ich in das von Betonmauern eingefasste Treppenhaus.
Klick. Als ich mich umblicke, sehe ich, wie Liz ihre Waffe senkt. Ich reagiere heute nicht schnell genug, denke ich verzweifelt. »Noch zwei Minuten«, sage ich, nachdem ich das Mikro abgestellt habe, und ziehe mich in die Ecke gegenüber der Nische zurück, in der Liz Posten bezogen hat. Sie nickt. Ich greife in meine Tasche, ziehe die Maschinenpistole heraus, fülle meine Jackentaschen mit Ersatzmagazinen und lege die Tasche auf den Boden. Klick. Diesmal bin ich es.
Noch eine Minute. Sam, Greg und Martin tauchen auf, wobei die Letzteren ein bisschen mitgenommen wirken. Ich schalte mein Mikro ein: »Folgt mir.«
Vor zwei Wochen habe ich in dem Körper, den ich Fiore geklaut hatte, diesen Gebäudekomplex erforscht - äußerst vorsichtig und eifrig darauf bedacht, es nur zu tun, solange Yourdon anderswo beschäftigt war. Im Erdgeschoss sind die Empfangshalle und ein großer Vortragssaal untergebracht, außerdem zwei Räume, die auf dem Gebäudeplan als Gerichtssäle eingetragen sind. Im ersten Stock, den wir ohne anzuhalten
Weitere Kostenlose Bücher