Glashaus
Friedhofsmauer zurückgezogen, stehe dort steif herum, umklammere mit einer Hand ein Weinglas und mit der anderen Sam. Meine Schuhe drücken, und mein Gesicht kommt mir so vor, als wäre es zu einer Grimasse erstarrt.
»Reeve! Und Sam!« Es ist Jen, die Angel mitzerrt und die beiden Ehemänner, Chris und El, im Schlepptau hat. Sie wirkt nicht ganz so überschwänglich wie am Vortag, und ich kann mir auch denken, warum.
»Wir haben nicht gerade gut abgeschnitten«, grummelt El und mustert mich mit einem derart abschätzigen Blick, dass er mich wie ein Schlag in die Magengrube trifft. Ist schon unheimlich: Ich weiß genau, was er gerade denkt, nur nicht, aus welchem Grund. Ist es deswegen, weil er meint, dass ich ihn Punkte gekostet habe? Oder versucht er nur, mich mit Blicken auszuziehen?
»Hätte schlimmer sein können«, erwidert Jen in kurz angebundenem, schroffem Ton. Sie umklammert ihre Handtasche so, als wolle sie das Ding erwürgen.
»Wären wir draußen«, ich hole tief Luft, »hätte ich Fiore für diesen öffentlichen Angriff auf mich zur Schnecke gemacht.«
»Aber du bist nicht draußen, meine Liebe«, erwidert Jen spitz und lächelt Sam zu. »Ist sie zu Hause auch so? Oder nur dann, wenn sie ein Publikum hat?«
Ich bin nahe, sehr nahe dran, ihr meinen Wein ins Gesicht zu schütten und Satisfaktion zu verlangen, nur um zu sehen, ob sie dann ausrastet, aber meine hin und her huschenden Gedanken werden in diesem Moment von etwas anderem abgelenkt: Jemand schleicht sich verstohlen an Jen vorbei. Mick. Also unternehme ich nichts Dummes, sondern lieber gleich etwas völlig Idiotisches und marschiere direkt zu ihm hinüber.
»Hallo, Mick«, sage ich fröhlich.
Er fährt zusammen und sieht mich finster an. Er ist angespannt, aufgezogen wie eine Feder, und kocht innerlich, wie nicht zu übersehen ist. »Ja? Was willst du denn von mir?«
»Oh, eigentlich gar nichts.« Ich lächle und mustere sein Gesicht. »Wollte dir nur mein Mitgefühl dafür bezeugen, dass du eine Gattin hast, die morgens nicht aus dem Bett kommt, nicht mal zum Kirchgang. Ist ja wirklich unangenehm. Meinst du, es klappt nächste Woche?«
»Ja«, knirscht er. Seine Hände baumeln steif herunter und sind zu Fäusten geballt.
»Na wunderbar! Hör mal, du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich Cass heute Nachmittag besuche, oder? Wir haben jede Menge zu bereden, und ich dachte, sie sei …«
»Nein, du wirst die Schlampe nicht besuchen.« Er sieht mich böse an. »Heute nicht - und auch sonst nicht. Hau ab, du Hure .«
Ich weiß zwar nicht genau, was das letzte Wort bedeutet, aber kann mir ein ungefähres Bild von seiner Gemütslage machen. »Okay, ich gehe«, erwidere ich innerlich angespannt. Hätte ich schon ein bisschen länger mit der Ruderbank und den Gewichten trainiert, sähe die Sache vielleicht anders aus. Aber im Augenblick kann ich nichts anderes tun. Noch nicht.
Also drehe ich mich um und kehre zu Sam zurück. Er sagt nichts, als ich mich an ihn lehne, und das ist vermutlich auch besser so, denn ich traue mir selbst kein Taktgefühl zu, schon gar nicht in der Öffentlichkeit, und kann von hier auch nicht flüchten. Mein Herz klopft heftig. Vor unterdrücktem Zorn und Schamgefühl ist mir regelrecht übel. Cass wird von ihrem Mann im wahrsten Sinne des Wortes als Gefangene gehalten. Ich selbst werde öffentlich an den Pranger gestellt und der Lächerlichkeit preisgegeben. Und mache mir schon dadurch Feinde, dass ich versuche, ein Quäntchen Identität zu bewahren. Das ganze Gemeinwesen ist auf Manipulation angelegt, will uns dazu bringen, unsere eigenen Freunde zu verraten …
Doch irgendwo da draußen suchen Leute nach mir, die mich töten wollen. Und wenn ich mich nicht bedeckt halte, werden sie mich früher oder später finden.
6
das schwert
NACH DER KIRCHE KEHREN WIR nach Hause zurück. Da Sam sonntags nicht zu arbeiten braucht, sieht er fern, während ich die Garage erkunde. Es ist ein recht schäbiger Anbau, der vorne eine große zweiteilige Tür hat und innen mit einer Werkbank ausgestattet ist. Die Zombies vom Eisenwarenladen haben alles, was ich gestern gekauft habe, bereits installiert. Eine Weile beschäftige ich mich damit, den mit Druckluft betriebenen Schlagbohrer auszuprobieren und die Betriebsanleitung für das Gerät zum Lichtbogenschweißen durchzulesen. Danach trainiere ich unten im Keller am Übungsgerät und stelle mir voller Ingrimm vor, einen Folterapparat zu bedienen, der einem
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